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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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das Gehalt von Ihnen kriege oder von sonstjemand, ist völlig gleichgültig. Eben das begreift er nicht. Er glaubt an seinen Meisterbrief, den er vor vierzig Jahren von der Handwerkskammer gekriegt hat. Ich sag ihm nicht, was ich denke, denn warum sollte ich einen alten Zierfisch erschrecken? Da beginnt das Meer zwischen uns, sagte sie; ich seh ihn nur an mit einem Blick, mit dem ich mich durch meine ganze katholische Landjugend geschlagen habe, es ist ein unvergleichlicher Blick, der auf ältere Herren heute noch wirkt. Daß er wirkt, erkenne ich daran, daß der Zierfisch dann plötzlich Mein liebes Fräulein Margot zu mir sagt. Da falle ich fast um, wenn ich das höre. Ehrlich, ich muß fast heulen, wenn ich das höre, sagte sie. Das ist die Anrede der Landvikare und Kolpingpfarrer. Wenn ein Vikar Mein liebes Fräulein sagt, dann weiß ein katholisches Landmädchen, daß der Vikar soeben das Äußerste geleistet hat, das Menschenmögliche. Aber das war das letzte Spielchen, das ich mit meiner Landjugendvergangenheit gespielt habe. Und der Zierfisch segelt um mich herum und will das alte Leben noch einmal aufwärmen. Manchmal gehe ich aufs Klo und kichere lautlos, sagte sie, aber ich muß aufpassen, daß das Kichern nicht in ein Heulen übergeht, das ist mir schon einmal passiert. Es ist Wahnsinn, sagte Margot, ich weiß, daß es Wahnsinn ist, was ich in solchen Minuten aushalte.
    Sie aß eilig und gierig, und sie ließ nichts übrig. Sie griff auch in Abschaffels Teller. Es war Mode geworden, sogar unter Angestellten, auch vom Teller des anderen zu essen; jeder sollte von jedermann nehmen dürfen, und so geschah es an vielen Tischen. Er erschrak leicht darüber, wenn Margots Hand in seinen Teller griff. Er war gewohnt an die Finsternis des Alleinessens. Der eigene Teller war für ihn ein abgeschlossenes Territorium, und jemand, der aß, durfte nicht gestört werden, und niemand durfte ihm, auch nicht freundschaftlich, etwas vom Teller nehmen. So hatte er es in seiner Familie gelernt. Aber er sagte nichts. Er wollte Margot nicht stören, noch nicht einmal beim Reden. Obwohl er das Gefühl hatte, daß es wichtig war, was sie sagte, schwand ihm schon wieder die Aufmerksamkeit. Er ärgerte sich, und er schämte sich. Er spürte, daß Margot von der Aufgabe ihres Berufs erregt war, und er glaubte sogar, daß er die wichtigste Person war, der sie diese Geschichte mitteilte. Aber er spürte auch einen Argwohn gegen Margot. In vierzehn Tagen, hatte sie gesagt, fing sie schon bei der Autovermietung an, und das hieß, daß sie schon vor einigen Wochen gekündigt haben mußte. Warum hatte sie ihm nicht früher davon erzählt? War er vielleicht doch nicht die wichtigste Person? Oder hatte sie nur auf eine gute Gelegenheit gewartet? Und war der heutige Abend die gute Gelegenheit? Oder hatte sie sich mit der Mitteilung deswegen nicht beeilt, weil sie gewußt hatte, daß ihm schon bald das Interesse dafür ausging? Natürlich wollte er nicht dastehen als jemand, der eine längere Mitteilung gar nicht mehr aufnehmen konnte. Er traute sich nicht, sie nach dem Grund ihres langen Wartens zu fragen. Er hoffte, daß sie vielleicht selbst noch darauf zu sprechen kam.
    Was mußt du denn bei der Autovermietung machen? fragte er. Das Wichtigste ist, sagte sie, daß ich zweihundert Mark mehr verdiene. Ich hoffe, daß ich damit endlich mal auskomme. Die Arbeit ist auf die Dauer wahrscheinlich ziemlich blöd. Das heißt, sagte sie, es ist ja eben keine richtige Arbeit mehr, es ist ja mehr ein Dienstbotenberuf, ein gut bezahlter Dienstbotenberuf ist es. Jeder Autofahrer, der unschuldig in einen Unfall verwickelt ist, hat das Recht, für die Dauer der Reparatur seines Wagens einen Mietwagen zu fahren, und die Versicherung des schuldigen Teils muß es bezahlen. Und ich sitze da in einem Büro und habe ein Telefon, und ich warte darauf, daß ich angerufen werde von jemand, der einen Unfall gehabt hat. Dann nehme ich ein Blanko-Vertragsformular und fahre an die Unfallstelle hin und übergebe das Mietauto. Und von einem Kollegen werde ich später abgeholt und ins Büro zurückgebracht. Das ist alles, sagte sie.
    Er hoffte, daß sie bald aufbrachen. Er hörte Margot kaum noch zu, und sie bemerkte es nicht. Er sah ihr auf den fettigen Mund und trank den Rest Wein aus seinem Glas. Margot spitzte ein Streichholz und reinigte sich damit die Zähne. Als sie mit dem Holz an ihren Zähnen entlangfuhr, brachen kleine Stücke von der Spitze ab, die Margot

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