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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Überall, wo der hingeht, muß er sofort schiffen.
    Abschaffel und Margot bestellten zweimal Riganato mit Schafskäse. Dazu einen halben Liter Wein, eine Portion Oliven und Weißbrot. Margot trug eine frische Bluse und enge Hosen. Er wußte, daß ihr die Hose zu eng war und daß sie noch heute abend darüber klagen würde. Sie riß die Weißbrotscheiben in kleine Stücke auseinander und steckte sich eines nach dem anderen in den Mund. Sie hob das Weinglas und trank es zur Hälfte aus. In vierzehn Tagen fang ich einen neuen Job an, sagte sie. Was? Du hast gekündigt? fragte er. Schon lange, sagte sie, ich hab’s satt. Die Goldschmiede hast du satt? Ja, unheimlich sogar, sagte sie. Und? Was willst du machen? Ich fang bei einer Autovermietung an, bei einer amerikanischen, sagte sie. Was? fragte er. Hast du es nicht verstanden? fragte sie. Doch, sagte er, ich habe alles verstanden, ich wundere mich nur über den Wechsel; in der Goldschmiede warst du selbständig, sagte er; bei dieser Autovermietung hockst du nur in irgendeinem Büro. Erstens war ich in der Goldschmiede keineswegs selbständig, sondern ich war verlassen, und zweitens hocke ich bei der Autovermietung nicht in einem Büro, jedenfalls nicht ununterbrochen, sondern ich komme draußen herum, sagte sie; ich hab’s mir auch lange überlegt. Ich sitz den ganzen Tag an meiner Werkbank und feile an irgendwelchen Ringen herum, und abends klopf ich mir den Goldstaub von der Hose. Mein Chef ist ein guter alter Witwer, der zufrieden ist, wenn er mit seinem feinen Handbesen den Staub aus seinem Schaufenster herausfegen kann.
    Abschaffel lachte. So ist es, sagte Margot, mehr braucht der nicht mehr. Am liebsten ist ihm, wenn er überhaupt nichts zu reden braucht. Und ich sitz mit ihm in einem Laden und sag nichts, weil ich weiß, er will gar nicht, daß etwas gesagt wird. Wenn ich dich nicht schon manchmal angerufen hätte, dann wären schon viele Tage buchstäblich ohne ein gesprochenes Wort vergangen, sagte sie; manchmal fällt es meinem Chef selbst auf, daß es so still ist, und dann sagt er so ein paar richtige Konversationssätze, nach denen es erst recht wieder ganz still sein muß. Mein Gott, sagte Margot, ich mach dem Mann ja keine Vorwürfe; er ist von allem, was heute mit den Menschen passiert, ozeanweit entfernt, wirklich, sagte sie, es ist unglaublich, daß es so etwas gibt, aber zwischen meinem und seinem Leben ist wirklich ein Meer. Er ist Mitglied in einem Aquarienclub, aber er redet nicht davon, weil er sich geniert, glaube ich, oder weil er vielleicht ahnt, daß er selbst ein Fisch in einem Glaskasten ist. Er rückt jeden Tag seine Schmucketuis zurecht, montags bringt die Wäscherei zwei frisch gebügelte weiße Kutten, die zieht er an und fühlt sich wohl. Er hat das glückliche Schicksal eines älteren Zierfischs, der schon in seiner Jugend den segensreichen Beruf eines Goldschmieds ergriffen hat, sagte sie.
    Abschaffel und Margot lachten. Die Bedienung brachte beide Portionen Riganato. Margot redete und redete. Sie bestellten noch einen halben Liter Wein, einen weiteren Korb mit Brot und zwei Schnäpse. Und deswegen hör ich dort auf, sagte Margot; ich hab’s satt; na ja, Goldschmiedin war eben vor fünfzehn Jahren ein typischer Beruf für ein katholisches Landmädchen, das anständig bleiben wollte. Fünfzehn Jahre! rief sie aus. Ich will nicht mehr den ganzen Tag in einem Raum rackern und rackern, ich will raus, ich will Leute sehen, sagte sie; obwohl längst alles perfekt ist mit der City Car, so heißt die Autovermietung, sagte sie, und obwohl der Zierfisch weiß, daß alles perfekt ist, gibt es noch fast alle zwei oder drei Tage einen zärtlichen Fight zwischen ihm und mir. Er will unbedingt, daß ich alles rückgängig mache mit der City Car und bei ihm weitermache. Er hat eine riesige Angst, einen neuen Goldschmied zu suchen und ihn dann erst kennenzulernen beziehungsweise nicht kennenzulernen. Dann erzählt er den üblichen Schmonzes, ich könnte meinen Beruf doch nicht einfach so wegwerfen, wegwerfen sagt er, einen richtigen Beruf gegen so was! Und das Schlimme ist, ich kann ihm nicht antworten, was ich eigentlich antworten will, weil er das nicht verstehen würde. Mein lieber Zierfisch, müßte ich ihm sagen, ich bin jetzt sechsunddreißig Jahre alt, und nach allem, wie es aussieht, werde ich mich damit abfinden müssen, daß ich bis zu meiner Pensionierung immer nur ein Gehalt kriege, das Monat für Monat zu wenig sein wird, aber ob ich

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