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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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während des Redens schnell auf den Tisch spuckte. Sie erzählte noch etwas über die Autovermietung, und es langweilte ihn. Gehn wir, fragte er. Hast du was? fragte sie. Nein, sagte er. Von mir aus, sagte sie.
    Zu Hause bei ihm zog sie sich sofort die Hose aus. Der enge Bund hatte ihr kleine Muster auf den Leib gedrückt, die sie ihm zeigte. Er sagte nichts. Margot öffnete die Balkontür, schaltete das Licht aus und legte sich auf das Bett. Abschaffel war im Bad und putzte sich die Zähne. Es bedrückte ihn, daß soviel geredet worden war. Ich muß mich beruhigen, dachte er. Über die Goldschmiede hatten sie selten miteinander geredet, was er aber zukünftig mit Margot über die Autovermietung reden sollte, war ihm unklar. Er putzte sich die Zähne noch einmal, ganz langsam, und er beruhigte sich nur schwer. Er wollte über nichts nachdenken, sondern schön und ruhig mit Margot schlafen. Das lange Reden kam ihm wie ein Hindernislauf zu Margot vor.
    Sie hatte sich ausgezogen und saß auf dem Bettrand. Sie hatte ihre Handtasche auf den Knien und suchte nach etwas, wahrscheinlich ihre Zigaretten. Sie holte eine Weinkaraffe aus der Handtasche und zeigte sie ihm. Hast du die mitgenommen beim Griechen? fragte er. Ja, sagte sie; hast du es nicht bemerkt? Nein, sagte er. So eine Karaffe ist einfach zu teuer, wenn man sie kaufen will, sagte sie. Er stellte das Radio an. Sie verstaute die Karaffe wieder in der Handtasche und steckte sich ein Kaugummi in den Mund. Sie begann zu kauen und legte sich auf den Rücken, und er suchte irgendeine Musik im Radio. Er legte sich neben Margot, und er spürte in seinem Gesicht die Kaubewegungen in Margots Mund. Er verfiel in ein inneres Schweigen, das schlimmer war als sein normales Schweigen, weil es noch tiefer saß und ihm keine Wahl mehr ließ. Es bedeutete, daß er sich beleidigt fühlte. Er überlegte, ob er Margot bitten sollte, das Kaugummi aus dem Mund zu nehmen, aber wie immer, wenn er sich beleidigt fühlte, konnte er nicht richtig überlegen. Er lag nur still neben ihr, bemerkte ihr Kauen und dachte: Wenn ich es noch einmal spüre, werfe ich sie aus dem Bett. Dann spürte er es wieder und sagte nichts. Er stützte sich auf und sah auf Margots Gesicht. Er war überhaupt nicht auf irgendwelche Mißstimmungen vorbereitet gewesen. Er betrachtete die winzigen Löcher in ihren Ohrläppchen, Einstiche aus der Zeit, als sie als Kind Ohrringe getragen hatte. Sie bemerkte, daß er auf ihre Ohrläppchen sah, und wie immer deckte sie sich schnell ein paar Haarbündel über die Ohren. Endlich wußte er, was er sagen konnte. Warum verdeckst du immer deine Ohrläppchen, wenn ich sie betrachte? fragte er. Es geniert mich, sagte sie; es erinnert mich immer wieder an meine katholische Kindheit, und ich habe das Gefühl, ich müßte jedesmal alles erklären, und das will ich nicht mehr. Wie sind denn die Löcher in die Ohrläppchen gekommen? fragte er. Beim Juwelier, sagte sie, kurz vor der Kommunion. Als kleines katholisches Dorfmädchen kriegt man eines Tages zierliche Ohrringe, so kleine Herzchen sind das meistens, sagte sie. Abschaffel streichelte sie, während sie redete. Eines Tages wird man von der Mutter zum Juwelier gebracht, und der sticht die Löcher in die Ohrläppchen. Was, sagte er, tut denn das nicht weh? Nein, sagte sie, in diesem Gewebe ist überhaupt kein Leben drin, du kannst dich pfetzen und spürst kaum etwas. Er pfetzte sich sofort in sein eigenes Ohrläppchen. Das ist bei mir aber anders, sagte er, bei mir tut es weh. Ein bißchen natürlich schon, sagte sie. Der Juwelier vereist die Ohrläppchen, so daß man nichts mehr spürt, und sticht durch. Aber das Schlimme ist nicht, daß man dann zwei Löcher da drin hat, sagte sie, das Schlimme ist, daß du dauernd Angst hast, eines Tages wird dich jemand an den Ohrringen ziehen und wird dir das halbe Ohr aufreißen. Ich habe Schulfreundinnen gehabt, sagte Margot, die sich überhaupt nicht mehr in die Nähe von Jungs getraut haben. Margot nahm das Kaugummi aus dem Mund und wickelte es in ein Papiertaschentuch ein. Sie schwieg. Abschaffel zog ihren Unterleib zu sich heran. Du bist zu grob zu mir, sagte sie. Augenblicklich ließ er von ihr ab und legte sich zurück. Daß nicht nur er mit ihr, sondern auch sie mit ihm unzufrieden war, schuf eine riesige Entfernung zwischen ihm und ihr. Er glaubte, in ein Flugzeug gestiegen zu sein und von Margot wegzufliegen. Zu grob? fragte er leise aus der Entfernung zurück; wo? wie? wobei?

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