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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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wenige sahen aus wie Empfangsdamen oder Chefsekretärinnen, und eine solche stellte sich Abschaffel vor. Er trank das Weinglas aus, zahlte und ging nach Hause. Es war sicher nicht einfach, ein solches Mädchen zu finden. Aber er hatte ja drei Tage Zeit.
    Mit einer Ausgeglichenheit, die ihn überraschte, stellte er zu Hause den Fernsehapparat an. Er setzte sich auf den Boden und sah sich einen Dreiviertelstundenbericht über Ölbohrungen in der Nordsee an, der ihn nicht interessierte. Mit großer Erleichterung vergaß er auf der Stelle alles, was der Fernsehsprecher sagte. Um zehn Uhr lag er im Bett und schlief sofort.
    Tatsächlich erlebte er den folgenden Tag wie seinen letzten bei Ajax. Er verrichtete seine Arbeit korrekt wie in den Jahren zuvor. Manchmal verspürte er Lust, jemandem zu sagen, daß dieser Tag sein letzter Tag sei, aber er beherrschte sich. Er war seiner Sache nicht ganz sicher, und er wußte es, auch wenn er nicht daran dachte. Er glaubte nur fest daran, daß er am Montag nicht mehr hier war. Wenn der Glaube ein wenig nachließ, wartete er einfach, bis er wieder fest wurde.
    In der Mittagspause führ er in die Stadt und hob wie geplant sechshundert Mark von seinem Konto ab. Der Kassierer fragte ihn, wie er das Geld haben wolle, und Abschaffel verlangte sechs Hunderter. Der Kassierer nannte die Hundert-Mark-Scheine Blaue Jungs und lachte dabei. Mit sechs Blauen Jungs in der Tasche wollte Abschaffel noch einen weiteren Punkt seiner Planung erledigen: die Anschaffung von Kleidung und Schuhen. Er ging in ein Herrenkonfektionsgeschäft; im zweiten Stock fand er die Anzugabteilung. Er schlenderte unaufmerksam an den langen Stangen vorbei, auf denen graue Anzüge aufgereiht waren. Drei zog er heraus und hängte sie schnell wieder an ihren Platz. Es waren diese grauen oder braunen, kastenähnlichen Gebilde, wie Ronselt und Hornung sie trugen. Er verließ rasch das Geschäft und betrachtete die Auslagen eines Schuhgeschäfts. Im Laden stellte er fest, daß im Erdgeschoß nur Frauen- und Kinderschuhe verkauft wurden. Herrenschuhe gab es im ersten Stock, und sofort verlor er die Lust am Schuhekaufen. Er fühlte sich so gut, daß er keinerlei Umstände hinnehmen wollte, noch nicht einmal Treppensteigen, und er verließ auch das Schuhgeschäft. Heute abend wollte er sich ein Schuhgeschäft ohne Treppen suchen.
    Erst später, als er wieder in der Firma war, fiel ihm ein, daß er es gar nicht gemocht hätte, wenn er mit einem Schuhkarton oder gar einem Anzugpaket wieder im Büro erschienen wäre. Es war üblich, neue Kleidung vor aller Augen auszupacken und, wenn möglich, kurz anzuziehen und vorzuführen. Wer hatte diese Sitte eigentlich eingeführt? Wahrscheinlich kam es von den kindischen Lehrlingen. Einmal am Nachmittag zählte Abschaffel auf der Toilette sein Geld nach. Er war es nicht gewohnt, soviel bei sich zu haben. Aber keiner der Blauen Jungs fehlte. Ronselt, der heute Spätdienst hatte, sortierte die Papiere für die heutigen Sammelverkehre. Abschaffel langweilte sich wenig an seinem letzten Tag. Er sah alles wie zum letztenmal an. Aus Aufregung ging er in die Halle und zerstreute sich. Er untersuchte den Platz, wo ungeklärte Transportgüter abgestellt wurden. Meistens waren es fehlverladene Kisten und Kartons. Oder es waren Schadensfälle, um die sich die Transportversicherung kümmern mußte. Abschaffel stieg zwischen den Einzelstücken herum und war dabei gerührt. In der linken Hand hielt er den Kugelschreiber, dessen Mine er unablässig ein- und austickte, ohne den Kugelschreiber zu gebrauchen. Abschaffel bemerkte, daß er seine Arbeit spielte, aber er glaubte sich auch seine gespielten Bewegungen. Er verstand die Rührung nicht, die ihn zwischen den Kisten umfing. Kam sie daher, weil die Langeweile ganz ernsthaft wurde, oder daher, weil er sich unbegreiflicherweise verabschieden wollte?
    Gegen acht war er in der Bahnhofsgegend. Er hatte sich nicht überwinden können, vorher noch einen neuen Anzug zu kaufen. Er war auf eine neue Hose ausgewichen und auf ein paar neue Schuhe. Natürlich hatte er gebadet und sich die Haare gewaschen. Er betrachtete sich mehrfach flüchtig in Schaufensterscheiben, und er gefiel sich. Er trug die bessere seiner beiden Jacken. Er hatte nur ein kleines Brot gegessen und eine Tasse Tee getrunken, weil er sich nicht so schwer fühlen wollte. Er war in der Elbestraße gewesen, und nun lief er die Weserstraße entlang. Er lief nicht allzu langsam, weil er nicht als

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