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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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antwortete er. Was haben Sie denn? fragte sie. Wenn ich das wüßte, sagte er; irgend etwas im Rücken, ich kann mich nicht mehr bewegen, beziehungsweise nur noch zur Hälfte, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, sagte er. Warum haben Sie mir das nicht gesagt? fragte sie. Das ist erst seit heute morgen so, sagte er. Soll ich Sie zum Arzt bringen? fing sie noch einmal an. Nein, nein, stieß er hervor, das ist morgen bestimmt wieder weg, sagte er, ganz sicher, ich bin morgen wieder im Büro. Das glaube ich nicht, wenn Sie sich nicht mehr bewegen können, sagte sie; passen Sie auf, ich fahre Sie heute nachmittag zu meinem Schwager nach Eschborn, zu Dr. Wägele. Ach du lieber Gott, nein, sagte er. Mein Schwager hat heute nachmittag keine Sprechstunde, sagte sie, und das bedeutet, daß Sie sofort drankommen, und ich bring Sie wieder nach Hause. Mir ist das überhaupt nicht recht, sagte er verzagt. Was sind Sie denn, sagte sie, was sind Sie denn für ein Clown? Sie sind doch krank, oder nicht? Also gut, sagte er, also gut; wann kommen Sie? So gegen drei, sagte sie.
    Die Art, wie Frau Schönböck wieder in sein Leben eindrang, mißfiel ihm sofort. Sogar seine Erkrankung benutzte sie, um an seine Geschichten heranzukommen. Er wollte nicht zu einem Arzt, schon gar nicht zu einem, der zugleich Schwager von Frau Schönböck war. Und er wollte nicht, daß Frau Schönböck seine Wohnung sah. Er verachtete sie, aber sie verletzte schon wieder die Grenzen. Er bemühte sich, die Wohnung aufzuräumen, so gut es ihm möglich war. Das Bett konnte er nicht machen, dazu hätte er sich zu tief bücken müssen, und das traute er sich nicht. Er räumte alles weg, wovon er glaubte, daß Frau Schönböck es sicher nicht verstand. Sogar die Banane auf dem Tisch, die inzwischen so schwarz war wie ein verkohltes Würstchen, warf er in den Mülleimer. Mit dem Besen fegte er die Staubwolken unter dem Bett und unter dem Schrank hervor, soweit sie sichtbar waren. Weil er sich vor Schmerzen fürchtete, traute er sich nicht, die Arme über den Kopf zu heben, um das Unterhemd zu wechseln.
    Kurz nach fünfzehn Uhr fuhr ihn Frau Schönböck vorsichtig nach Eschborn. Er hatte befürchtet, auf der Fahrt würde sie mit einer Aussprache beginnen, aber sie hielt sich zurück. Er bemerkte, daß sie ihn wirklich für erkrankt hielt. Er erzählte ihr, wie alles gekommen war, und daß er sich den Schmerz nicht erklären konnte. Eschborn war ungefähr fünfundzwanzig Minuten von Frankfurt entfernt. Der Verkehr war ruhig. Als Abschaffel das kleine Haus von Dr. Wägele betrat, bereute er, daß er sich auf Frau Schönböcks Vorschlag eingelassen hatte. Aus der fröhlich betonenden Art, mit der ihn Frau Schönböck ihrer Schwester vorstellte, schloß er, daß sie ihr schon öfter von ihm erzählt haben mußte. Vielleicht hatte sie sogar angedeutet, daß er ihr Freund war. War es denn nicht ungewöhnlich, daß ihn dieser Dr. Wägele an seinem freien Nachmittag untersuchte? Und war diese Behandlung vielleicht nur deswegen möglich, weil Frau Schönböck so getan hatte, als handle es sich um eine quasi schon halb verwandtschaftliche Angelegenheit? Dr. Wägele war um die Vierzig, dicklich und wortkarg. Dr. Wägele maß ihm den Blutdruck und hörte das Herz ab. Treiben Sie Sport? fragte er. Nein. Rauchen Sie? Ja. Sehr viel, nicht wahr? Ja, sagte Abschaffel. Was Sie am Rücken haben, kann ich nicht feststellen, sagte Dr. Wägele; ich schreibe Ihnen eine Überweisung an Dr. Schmücker, das ist ein Orthopäde, der wird Ihnen den Rücken röntgen. Dr. Wägele setzte sich vor ihm auf einen Stuhl und machte eine Blutentnahme. Als er mit der Nadel in die Vene stach, spritzte Blut heraus. Mann, haben Sie Blut, sagte Dr. Wägele. Abschaffel beobachtete, wie der kleine Kolben das Blut in eine Glasröhre absaugte, und es wurde ihm ein wenig schlecht dabei. Sie müssen in Zukunft Sport treiben und das Rauchen aufgeben, sagte Dr. Wägele. Abschaffel machte sich lustig über den Arzt. Ein mieser kleiner Krankenscheinjäger, spottete er, der Blut abzapft und die allgemeinsten Ratschläge gibt. Dr. Wägele verpackte das Röhrchen Blut in einen kleinen Holzbehälter und klebte einen Zettel drauf. Das Blut wird in einem medizinisch-diagnostischen Institut untersucht, sagte Dr. Wägele; am besten wäre es, Gabriele würde es gleich mitnehmen und im Institut abgeben. Er erhob sich. Nächste Woche rufen Sie mich bitte an, dann kann ich Ihnen sagen, ob Ihr Blut gesund ist.
    Frau

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