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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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ständige Ärger mit Vollstreckungsbeamten und Pfändungen und so weiter geht ihm auf die Nerven. Abschaffel lachte.
    Sie aßen lange und redeten noch über Fräulein Schindler, über Ronselt, Frau Hannemann und Ajax’ Tochter Gisela. Abschaffel war verzagt geworden, aber er hielt die Unterhaltung durch. Frau Schönböck ging in die Küche und wusch sich die Hände, und als sie ins Zimmer zurückkam, kniete sie vor seinen Schallplatten nieder, die auf dem Boden lagen. Sie müssen sich einen Plattenständer kaufen, sagte sie. Wenn Frau Schönböck Platten auf dem Boden liegen sah, konnte sie die Empfehlung, einen Plattenständer für sie zu kaufen, eben nicht unterdrücken. Das war die Art der Einfälle von Frau Schönböck. Am liebsten hätte Abschaffel jetzt schon genau gewußt, wie er diesen Abend beenden konnte. Frau Schönböck sah sich eine Plattenhülle nach der anderen an. Er wollte gar nicht auf sie wütend werden. Immerhin hatte sie ihn zum Arzt gebracht, und er wollte mindestens so dankbar sein, wie sie hilfreich gewesen war. Aber es wurde nichts. Er suchte nach einer Möglichkeit, wie er ihr auf anständige Weise sagen konnte, daß das Essen hervorragend war, daß er ihr dankte und daß sie jetzt bitte nach Hause gehen möge. Diese Platten sind fast alle von bekannten Gruppen, sagte sie. Sie können ruhig eine auflegen, wenn Sie wollen, sagte er. Welche? fragte sie zurück. Ist mir egal, sagte er. Ach so, Sie kennen Ihre Platten ja sowieso nicht, sagte sie. Eben, sagte er gereizt.
    Sie legte eine Platte auf und kam an den Tisch zurück. Sie müssen sich mal einen neuen Saphir kaufen, sagte sie, Sie machen sich ja Ihre Platten kaputt. O Gott, konnte diese Frau nicht den Mund halten? Ich möchte erleben, daß diese Platten immer älter werden, sagte er. Sie sah ihn an und schwieg. Ich kann diese Platten nicht mehr leiden, und ich verstehe heute nicht mehr, warum ich sie mir einmal gekauft habe. Und weil das so ist, macht es mir nichts aus, wenn ich ein immer schlimmer werdendes Rauschen höre, sagte er. Sie schwieg, und er hatte keine Lust mehr, ihr noch etwas zu sagen. Er spürte, daß sie überfordert war. Er beugte sich über den Tisch und sagte freundlich: Frau Schönböck, Sie trauen sich nicht, mir zu sagen, daß Sie mich nicht verstehen; Sie hängen so sehr an all den Dingen, die Sie sich leisten, an jedem Urlaub, an jeder Schallplatte, an jeder Handtasche, an jedem Pullover und so weiter und so weiter, daß Sie gar nicht begreifen können, wie sich zwei Dutzend Schallplatten in Wohnzimmermüll verwandeln. Das ist unfaßlich für Sie, sagte er. Er sah sie an. Ich schenke Ihnen alle meine Platten, sagte er dann. Sie schnaufte. Ich werde das Geschirr wegräumen und dann nach Hause fahren, sagte sie. Lassen Sie das Geschirr stehen, sagte er, es geht doch nicht um das Geschirr. Es entstand ein blödsinniges Hin und Her über die Frage, ob nun das Geschirr weggetragen und gespült werden mußte oder nicht. Ich bin kein Müllabladeplatz, sagte sie plötzlich, und an ihrer leicht kehlig gewordenen Stimme bemerkte er, daß sie gekränkt war. Ich gehe, sagte sie. Sie ging auf den Flur und zog ihren Mantel an. Er blieb am Tisch. Er wartete, bis sie weg war, dann ging er zum Schallplattenspieler und stellte ihn ab. Wieder war er erregt und zugleich beruhigt.
     
    Die Praxis von Dr. Schmücker war unübersichtlich groß. Behandlungsräume, Röntgenzimmer, Wartezimmer und Liegezimmer wechselten einander ab, verbunden durch kurze und lange Flure. Eine junge Assistentin nahm seinen Überweisungsschein entgegen und bat ihn, in einem kleinen Zimmer zu warten. Links von ihm eine schmale Stahlrohrliege, rechts ein Pult mit Geräten und Medikamenten. Er mußte nicht lange warten, dann betrat Dr. Schmücker das Behandlungszimmer. Er trug keinen Arztkittel, sondern nur ein leichtes, durchsichtiges Hemd, dazu eine weiße Hose mit scharfer Bügelfalte. Er sah aus wie ein Tennisspieler. Abschaffel sagte ihm, was er über seine Erkrankung sagen konnte. Dr. Schmücker stellte sich hinter ihm auf und hielt ihn mit beiden Händen an den Hüften fest. So, sagte er, jetzt tun Sie bitte einmal so, als würden Sie ein Feld mähen. Und Abschaffel versuchte, den Körper in der geforderten Weise von rechts nach links zu bewegen, aber er vermochte es nicht. Es geht nicht, sagte er. Haben Sie Schmerzen? fragte der Arzt. Ja, sagte Abschaffel. Das sieht aber böse aus, sagte Dr. Schmücker. Ich muß Sie röntgen. Bitte, folgen Sie mir. Dr.

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