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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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traute sich nicht, das Café wieder zu verlassen. Er setzte sich möglichst weit weg von den lachenden und johlenden Schülern, und die Bedienung beugte sich tief zu ihm hinunter, um den leise sprechenden Abschaffel zu verstehen. Die Schüler waren höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre alt, sie zupften sich an den Pullovern und boxten sich auf die Oberarme, und sie tranken Kaffee und Coca-Cola und rauchten dazu. In fast allen ihren Sätzen erschien das Wort BLIND . Es war offenbar ein zur Zeit geläufiges Modewort, ohne das Schülerunterhaltungen nicht möglich waren. Das war das Blindeste, was du je gemacht hast, sagte einer zum anderen, und jener antwortete: Noch viel blinder war deine Reaktion von heute morgen. Seit wann hielten sich Kinder in Cafés auf? Alles an diesen Schülern war kindisch. Sie wären niemandem aufgefallen, wenn sie auf einem Fußballplatz herumgesprungen wären. War Abschaffel als Dreizehnjähriger in einem Café gewesen? Niemals. Erregt sah er den Schülern zu, bis sie gegen halb zwölf endlich gingen. Er gestand sich ein, daß die Schüler ihm den Aufenthalt in dem Café verdorben hatten. Sollte er eine zweite Tasse Kaffee bestellen? Er war leicht verbittert, und nach einer Weile zahlte er und ging.
    Um sieben Uhr kam Frau Schönböck. Er hatte sie so früh nicht erwartet. Sie sagte, daß sie etwas ganz Feines kochen werde. Sie stellte zwei Körbe mit Lebensmitteln auf dem Tisch ab, und aus einer Plastiktüte zog sie eine schwere Pfanne heraus. Haben Sie schon mal eine Paella gegessen? fragte sie. Nein, oder doch, ich weiß nicht, einmal vielleicht, sagte er. Warum kriegt man aus Ihnen so schwer etwas heraus? fragte sie vergnügt; haben Sie nun schon mal eine gegessen oder nicht? Ich weiß es einfach nicht, sagte er. Er schwieg sofort wieder. Waren Sie schon einmal in Spanien, oder wissen Sie das auch nicht? fragte sie und lachte. Nein, sagte er verdattert, ich war noch nicht in Spanien. Ich war schon dreimal dort, sagte sie, die Leute sind unheimlich nett. Und Paella ist ihr Nationalgericht, sagte sie. Sie ging dazu über, veraltete Urlaubsgeschichten zu erzählen, und Abschaffel hörte nur halb hin. Sie packte immer noch Lebensmittel aus. Langsam gewöhnte er sich an die Situation. Im zweiten Korb waren zwei Flaschen Rotwein, eine Menge grüner und schwarzer Oliven, zwei Dosen Ölsardinen, eine kleine Melone und ein paar helle Brötchen. Sie bat ihn, eine Flasche Wein zu öffnen. So standen sie in der Küche und redeten. Frau Schönböck schnitt Zwiebeln zusammen, zerkleinerte Hasenfleisch, kochte Reis auf und zeigte Abschaffel einen Beutel Safran, den sie in einem Gewürzgeschäft gekauft hatte. Bald roch es in der ganzen Wohnung nach Öl und Muscheln und kleinen Seetieren. Er stand neben dem Gasherd und versuchte, über Frau Schönböck nachzudenken. Wahrscheinlich war sie stark gehemmt, und wahrscheinlich wollte sie mit der Geste des Kochens alle Widerstände ein für allemal beseitigen. Vielleicht will sie sich auch nur als patente Person darstellen, dachte er. Oder sollte das Essen vielleicht heißen: Ich bin bereit, über Ihre Absonderlichkeiten, Herr Abschaffel, noch einmal hinwegzusehen und einen neuen Anfang zu machen? Unterdessen hatte sie zwei Teller und Bestecke in das Zimmer getragen und den Tisch gedeckt. Wird in der Firma über mich geredet? fragte er. Nein, sagte sie, über was von Ihnen sollte geredet werden? Ich weiß nicht, sagte er, über irgendwas wird doch immer geredet. Sie sind überempfindlich, sagte sie, das sieht man Ihnen schon von weitem an.
    Sie trug die Paellapfanne ins Zimmer, und Abschaffel öffnete die zweite Flasche Wein. Als Vorspeise gab es Sardinen, Oliven, zwei Scheiben Tomaten, Käse und Wein. Als sie am Tisch saßen, redeten sie wieder über die Firma. Im Augenblick wird über Hornung geredet, sagte sie. Über Hornung wird geredet, seit er in der Firma ist, sagte er. Ja schon, sagte sie, aber zur Zeit sieht es böse um ihn aus. Warum denn? fragte er. Er hat einen Offenbarungseid leisten müssen, sagte sie. Ach Gott, wie geht denn das!? rief er aus. Ich weiß es auch nicht, ich habe die Geschichte von Frau Morlock. Jedenfalls ist es so, daß Hornung vor einem Notar seine Vermögensverhältnisse eben offenbaren muß, sagte sie. Und wie verhält sich Ajax? fragte er. Er hat fürchterlich mit Hornung herumgetobt, sagte sie. Ich glaube nicht, daß er ihm kündigt, sagte er. Sagen Sie das nicht, antwortete sie; Ajax wird immer älter, und dieser

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