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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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niedergehaltene Wut. Er spürte, daß er einen Ausweg brauchte, aber es gab keinen Ausweg aus seinem Leben, er mußte immer wieder in sich selbst herumgehen. Er zog das Jackett wieder aus und hängte es an die Innenseite der Tür. Der Anblick der an der Tür hängenden Jacke erinnerte ihn an seine Wohnung zu Hause. Genauso hängte er seine Jacke zu Hause an die Innenseite der Tür. Diese Erinnerung vertrug er schlecht, und er nahm die Jacke wieder von der Tür weg. Er hängte sie zurück in den Schrank, und er strengte sich an, es ohne Wut zu tun. Oder war es inzwischen das Zimmer, das ihn sowohl wütend als auch niedergeschlagen machte? Er sah im Zimmer umher und ließ den Blick über die Dinge schweifen. Bettdecke und Überdecke hingen an zwei sichtbaren Seiten nach unten und streiften fast den Boden. Ein nicht weggeräumtes Hemd lag über einem Sessel und hing seitlich nach unten. Die nicht aufgehängte Hose lag über einem Stuhl. Warum hing alles nach unten? Abschaffel räumte die Sachen auf. Dann setzte er sich an das Fenster und fühlte sich erschöpft. Er kam sich vor wie ein altes Tier, das in einem alten dunklen Stall steht und nur noch den Kopf hin- und herbewegen kann. Nein, so kam er sich nicht vor. Es war ihm nur für Sekunden das Bild eines Stalltiers durch den Kopf geglitten, und aus Übereifer kam er sich gleich wie dieses Tier vor. Er strengte sich an, an nichts zu denken. In Abständen liefen Patienten, Schwestern und Ärzte draußen den Flur entlang und verschwanden in Zimmern. Seit ein paar Tagen war ein anstrengender Herzneurotiker auf seiner Station, mit dem Ärzte und Schwestern viel zu tun hatten. Es war ein etwa vierzigjähriger Mann, der immerzu über Herzpoltern, Herzsausen, Herzjagen oder Herzrasen klagte. Fast immer hatte er seine rechte Hand auf der linken Brustseite liegen und klagte über Schweißausbrüche, Todesangst und schwächer werdende Atmung. Er glaubte, bald sterben zu müssen, und wenn er nicht jammerte, war er bedrückt. Jahrelang war seine Krankheit als organische Herz-Kreislauf-Störung verkannt worden, ohne daß sie je besser geworden wäre. Er verlangte von allen, die mit ihm sprachen, ein überbesorgtes Schonverhalten. Er wollte kein Wort von den Krankheiten und Störungen der anderen hören, aber jedem seine eigene Angst klarmachen. Denn deswegen war er hier: damit endlich herausgefunden wurde, was ihm solche Angst machte. Seine Mutter hatte ihn nach Sattlach gebracht und hatte zwei Tage lang in einem Sattlacher Gasthaus übernachtet, weil sie sicher sein wollte, daß ihr Sohn den ersten Tag in der Klinik überlebte. Als die Mutter am zweiten Tag selbst in der Klinik erschien und in die Behandlung eingreifen und Ratschläge erteilen wollte, wurde sie vom Klinikdirektor höflich zur Tür gebeten. Sie wollte ihren Sohn wieder mit nach Hause nehmen; der Sohn konnte diese Aufregung um seine Person kaum ertragen und schloß sich in sein Zimmer ein. Nun verlangte er die fast ständige Anwesenheit eines Arztes oder wenigstens einer Schwester, die ihm die Beruhigung, die er von seiner Mutter gewohnt war, gewährte. Er konnte kaum eine Stunde allein sein, dann war es wieder einmal so weit, daß seine Anklammerungssucht mit ihm durchbrach.
    Endlich war es wieder still. Anscheinend war eine Schwester bei ihm und beruhigte ihn. Kurz danach waren wieder eilige Schritte hörbar; mußte doch der Stationsarzt erscheinen? Durch die vielen Schritte hin und wieder zurück war Abschaffel an seine eigene Mutter erinnert worden. Als er zehn oder elf Jahre alt war und anfing zu onanieren, hörte seine Mutter nicht auf, wenn er im Bett lag und nicht einschlafen wollte, sich im Flur vor der Tür zu schaffen zu machen, um dann plötzlich die Tür zu öffnen und ihn anzustarren. Und jedesmal, wenn er die Mutter im Flur hörte, nahm er tatsächlich die Hände weg von seinem Geschlecht, weil er sich nicht überraschen lassen wollte. Das war vermutlich genau das, was sie wollte; vielleicht versprach sie sich von ihren überraschenden Türöffnungen, daß er sein Geschlecht wieder vergaß. Obwohl er zu wissen glaubte, daß sie sich ihrerseits nicht traute, jemals ein Wort zu sagen, selbst wenn sie ihn unmittelbar entdecken würde. Er seinerseits tat, wenn sie in der Tür stand, als wisse er nicht, wonach sie sehen wollte. Es war ein stummes Einanderanblicken, weiter nichts.
    Später, zu Beginn der Stunde, war Abschaffel entschlossen, Dr. Buddenberg heute etwas vorzulügen. Er war zu der Meinung

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