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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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gekommen, daß es gleichgültig war, was er ihm mitteilte. Dr. Buddenberg erhob sich und wies freundlich mit der Hand auf den Sessel. Abschaffel erinnerte sich an den Schäferhund von heute morgen und schilderte Dr. Buddenberg die Erscheinung des Hundes, dann die Schuhspanner und die Schlechtigkeiten, die er seinem Vater angedichtet hatte. Und wie ich so dastehe, sagte Abschaffel, und die Schuhspanner betrachte und meinem Vater Unrecht tue, stellt der Hund seine rechte Vorderpfote auf meinen rechten Fuß. Genau drauf. Ich bin erschrocken, sagte Abschaffel, oder nein, ich bin nicht erschrocken, denn ich hatte gleich das Gefühl, daß es sich nur um ein Versehen des Hundes handelte und daß ich mich nicht zu ängstigen brauchte. Ich war eher verlegen und ein bißchen gespannt, aber ich traute mich auch nicht, meinen Fuß einfach unter der Pfote des Hundes wegzuziehen. Ich wartete, sagte Abschaffel, und tat, als hätte ich nichts bemerkt. Manchmal sah ich herunter auf meinen Schuh beziehungsweise auf die Pfote des Hundes, und plötzlich ist mir die dichtbehaarte Pfote mit den auseinanderstrebenden Schlitzen darin wie die Außenansicht eines weiblichen Geschlechts erschienen, und als ich die Krallen unter der Behaarung entdeckte, habe ich mich gewundert, daß ich diese Krallen noch niemals gespürt habe, wenn ich mit einer Frau zusammen war.
    Abschaffel hatte kaum das letzte Wort herausbringen können, so schämte er sich. Am liebsten hätte er Dr. Buddenberg sofort um Entschuldigung gebeten. Eigentlich erwartete er, daß der Analytiker den Schwindel bemerkt hatte und vielleicht kurz mit dem gestreckten Zeigefinger winkte. Aber Dr. Buddenberg schwieg. Er drehte seinen Körper ein wenig in seinem Sessel und schien zu warten, daß Abschaffel weiterredete. Drüben, am Waldrand, standen unbeweglich dunkle Tannen wie beleidigte Frauen. Und Abschaffel vergaß, daß er Dr. Buddenberg nichts Wirkliches und Wahrhaftiges mehr mitteilen wollte. Ich habe Beklemmungen, sagte er nach einer Weile. Es ist ein ewiges Distanzgefühl, das die Beklemmungen verursacht. Ich bin mit nichts verbunden, weil ich überzeugt bin, daß nichts etwas taugt, ich selbst eingeschlossen. Ich habe das Gefühl, wenn die Leute wüßten, daß ich mit nichts etwas zu tun habe, dann würden sie mich entfernen. Ich würde ein Opfer ihrer Unduldsamkeit werden. Nachdem er dies gesagt hatte, schwieg er fünf Minuten. Er hatte den Eindruck, daß diese Stunde mißglückte. Alles, was er bisher gesagt hatte, war ein einziges Durcheinander gewesen. Jetzt habe ich den Eindruck, in der Beschreibung der Beklemmung zu weit gegangen zu sein. Ich wollte sagen, sagte er, aber da begann er zu weinen. Nach fünf Minuten hatte er sich wieder beruhigt. Es ist, sagte er, als würde ich genau merken, daß ich mein Leben niemals loswerde und daß ich überhaupt nichts anfangen kann mit einem Leben, das endlich einmal nichts mehr mit meinem Leben zu tun hat. Drücke ich mich richtig aus? fragte er und schwieg. Jeden Tag, begann er von neuem, jeden Tag fülle ich mich an mit den Tatsachen meines Lebens, und das hängt mir zum Hals heraus, ich möchte endlich frei sein, und das gelingt mir nicht. Und deswegen hören diese Beklemmungen nicht auf. Ich bin nicht richtig im Leben drin, weil ich dauernd woanders sein muß, sagte er und seufzte. In seinem Zimmer begann er, sich einen Daumenfingernagel abzukrubben, ohne es zu bemerken. Er hatte das Gefühl, bei Dr. Buddenberg versagt zu haben. Was für ein Durcheinander! Er krümmte den Daumen nach innen und kerbte mit einem anderen Fingernagel kleine Risse in seinen linken Daumenfingernagel. Er warf sich vor, daß er die Geschichte von der Hundepfote erzählt hatte. Erfundene Geschichten hatte er mit siebzehn oder achtzehn erzählt, beinahe jeden Tag, damals. Die wirklichen Geschichten, die er damals erlebt hatte, konnte er nicht erzählen. Er hatte überhaupt nur mit erfundenen Geschichten eine Person sein können. Was war denn schon über seinen Vater zu erzählen? Daß er das Klo reparierte, wenn es kaputt war, und sonntags Skirennen im Fernsehen ansah? Gut, das war damals. Aber warum erzählte er plötzlich wieder eine erfundene Geschichte: nach so vielen Jahren? Wie üblich konnte er sich die wirklich bedrängenden Fragen nicht beantworten. Nervös riß er sich den Daumenfingernagel herunter und zerbiß ihn. Die abgebissenen Teile verschluckte er zur Hälfte, die andere Hälfte spuckte er in sein Zimmer. O Gott, was war jetzt wieder

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