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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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im leeren Bus nach hinten kommen und sich nicht erklären können, wie das geschehen war. An dieser lächerlich übertriebenen, gespreizten Phantasie erkannte Abschaffel, daß er noch immer, jedenfalls zu dieser Stunde, in pubertären Ordnungen dachte. Denn tatsächlich hatte er sich ein wenig dabei beruhigt, als er dem schwankenden Bus zusah, wie er umständlich und vorsichtig durch die engen Straßen fuhr und sich entfernte.
    Später, im Zimmer von Dr. Buddenberg, fühlte er sich angestrengt und erschöpft. Müde sah er in das Gesicht des Analytikers, und es fehlte nicht viel, dann hätte er zu ihm gesagt: Nehmen Sie meinen Kopf, dann wissen Sie alles. Abschaffel bemerkte nicht, daß dies eine Regung des Mitgefühls und Verständnisses mit Dr. Buddenberg war. Eigentlich wollte er sich entschuldigen und den Analytiker bedauern: War es nicht eine unerträgliche Zumutung, sich mit den unwichtigen Krämpfen so vieler unwichtiger Personen beschäftigen zu müssen? Abschaffel wollte ihm ein freundliches Angebot machen: Weil es unmöglich war, das Leben eines anderen Menschen zu erfassen oder durchgängig zu begreifen (meinte er), wollte er in Zukunft nur noch Geschichten erzählen. Obwohl er gar nicht wußte, welche Geschichten er eigentlich erzählen wollte, aber in diesen Augenblicken spielte ihm sein Gemüt sich selbst als Geschichtenerzähler vor. Leider traute sich Abschaffel nicht, all dies zu sagen. Dr. Buddenberg saß reglos in seinem Sessel und wartete. Durch das geöffnete Oberlichtfenster hörte Abschaffel das Klappern von Besteck und Geschirr aus der Klinikküche. In fast gleichmäßigen Abständen fiel eine Gabel oder ein Messer in einen Kasten, in dem sich bereits viel Besteck befinden mußte.
    Obwohl wir nie viel Geld in der Familie hatten, begann Abschaffel, wurde bei uns zu Hause immer ziemlich viel gegessen. Der Vater verlangte auch am Abend eine warme Mahlzeit. Irgendwann nach dem Krieg hat meine Mutter zwar einmal versucht, am Abend das sogenannte Abendbrot einzuführen, also eine kalte Mahlzeit mit Brot, Wurst, Käse und Tee, aber es gelang ihr nicht beziehungsweise erst viel später. Der Vater wollte auch am Abend Fleisch, Kartoffeln, Nudeln oder Gemüse auf dem Tisch sehen, und die Mutter stand ab fünf Uhr nachmittags am Herd und kochte zum zweitenmal, nachdem sie für uns, die Kinder, schon mittags warm gekocht hatte. Pünktlich um halb sieben, wenn er nach Hause kam, dampfte es in den Schüsseln. Allerdings führte sie nach einigen Jahren eine Änderung ein, insofern sie nur noch für ihn, den Vater, am Abend ein warmes Essen hinstellte. Wir, die Kinder und sie, gingen zum kalten Abendbrot über, das wir in pikierter Haltung einnahmen, während der unversöhnliche Vater stur und schweigend seine Extramahlzeit verzehrte. Ich nehme an, er hat sich geschämt, denn er aß sehr eilig und gierig. Ich nehme weiter an, sagte Abschaffel, daß die Mutter uns Kindern Gelegenheit geben wollte, ihn verachten zu lernen: weil sie ihn selbst verachtete. Oft hat er zu ihr gesagt: Du ziehst die Kinder auf deine Seite herüber. Das hat sie tatsächlich gemacht, ohne es allerdings zu bemerken. Tatsächlich haben wir den Vater verachten gelernt, und wir haben ihn besonders beim Essen verachtet. Die Art, wie er eilig alles in sich hineinschlang, war abstoßend. Jahrelang habe ich diese Gier beobachtet, und eines Tages ist mir der Gedanke gekommen, daß diese Gier mehr bedeuten muß als bloß die Befriedigung von Hunger. Es war, wie soll ich sagen, Abschaffel suchte nach Worten und sah doch den Vater so deutlich vor sich, diese Gier war sehr wütend, sie mußte mehr als das Essen meinen. Aber ich hatte keine Idee, womit diese Gier zu tun haben könnte. Später habe ich die Mutter einmal in aller Naivität gefragt, wie es eigentlich gekommen sei, daß der Vater so viel und so schnell aß. Hat er wirklich diese Mengen verlangt, oder hast du sie ihm eines Tages hingestellt? habe ich sie gefragt. Sie hat diese Frage nicht verstanden, sie war, glaube ich, sogar ein bißchen beleidigt, daß ich so etwas überhaupt fragen konnte. Eines Tages aber hatte ich den Verdacht, ich weiß nicht, wie der Verdacht zustande kam, aber eines schönen Tages war er da: daß sie ihm die dampfenden Schüsseln anstatt ihrer selbst hinreichte. Wenn ich ihn essen gesehen habe, habe ich mir dann immer vorgestellt, daß er sich früher genauso über meine Mutter hergemacht hat. Und irgendwann hat sie das nicht mehr ausgehalten und hat ihn statt

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