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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Helligkeit in das Dunkel hinüberzuwechseln und an einer anderen Stelle wieder in die Helligkeit zurückzukehren. Soll ich dir ein Glas Wein mitbringen? fragte Dagmar. Nein, lieber nicht, sagte er. Du fühlst dich nicht wohl hier? Nein, sagte er. Willst du lieber gehen? Ja, sagte er. Gut, sagte sie, ich komme später nach.
    Es dauerte keine halbe Minute, und er hatte den Marktplatz verlassen. Während des Weggehens hatte er ein dankbares Gefühl, weil sie ihn ohne Komplikationen hatte gehen lassen. Zugleich fühlte er, daß es das letzte Mal war, daß sie zusammen weggewesen waren. In seinem Zimmer zog er die nassen Schuhe und die nassen Strümpfe aus. Er holte sich ein paar frische Strümpfe und zog sie an. Die Schuhe stellte er auf die Heizung. Er legte sich hin und dachte den Gedanken eines alten Mannes: Die angenehmsten Besänftigungen des Lebens kommen aus der Ermüdung des Körpers. Weil er tatsächlich müde war, kam er nicht mehr dazu, sich diese Empfindung wieder streitig zu machen. Er schlief eine Stunde lang, und er hätte wahrscheinlich noch länger geschlafen, aber kurz nach acht drang Dagmar in sein Zimmer ein. Sie war in aufgeräumter Verfassung und redete schnell und viel. Mit unheimlich vielen Sätzen teilte sie ihm mit, daß sie auf dem Marktplatz einige andere Patienten getroffen hatte, und sie hatten beschlossen, heute abend zu einem Fasnachtstreiben in die Sattlacher Turnhalle zu gehen. Sie war nur hier, um ihn abzuholen. Abschaffel wußte sofort, daß er an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen wollte, aber er traute sich nicht, es Dagmar gleich zu sagen. Ich will mal sehen, sagte er ausweichend. Wir gehen jedenfalls, sagte Dagmar, du kannst ja nachkommen. Sind denn die anderen schon dort? Einige ja, sagte sie, andere warten unten an der Pforte. Geh nur, sagte er, ich werde nachkommen. Ist gut, sagte sie und verließ sein Zimmer.
    Tatsächlich machte er sich frisch und zog sich an. Er putzte sogar seine Schuhe. Durch den wochenlangen Wechsel zwischen Nässe und Trockenheit war das Leder hart und spröde geworden; und immer wenn es wieder eintrocknete, bildeten sich an den Rändern aschgraue bis weißliche Ränder. Er wußte, daß er nur zur Turnhalle ging, um einmal kurz hineinzusehen, um dann wieder umzukehren. Er wollte sagen können, daß er dortgewesen war und daß es ihm nicht gefallen hätte.
    Er wartete noch eine halbe Stunde und ging dann los. Er wußte, wo sich die Turnhalle befand; er war schon oft an diesem alten Sandsteinbau vorbeigelaufen. Viele Sattlacher waren an diesem Abend unterwegs, und viele waren maskiert. Der Anblick des Geschehens in der Turnhalle hatte auf ihn die vermutete Wirkung. Er erschrak deutlicher, als er erwartet hatte. Dicht hinter dem Eingang saßen an einem Holztisch zwei dicke Männer mit roten, faltigen Gesichtern. Sie hatten ein Zigarrenkistchen neben sich stehen, in dem sich zwei Rollen Eintrittskarten ringelten. Außerdem eine Stahlkassette, in der sich die eingenommenen Eintrittsgelder befanden. Sie warteten ab, ob Abschaffel eine Eintrittskarte löste, aber er sah nur in die Halle. Es war ein hoher alter Bau, in dem Sattlacher Schulkinder anscheinend heute noch turnten. Von der Decke hingen Holzringe an langen Seilen herunter, die in halber Höhe hochgebunden waren. Links und rechts an den Wänden befanden sich hölzerne Kletterstangen, und in der vorderen linken Ecke waren Barren, Holzkästen und Gummimatten aufeinandergetürmt. Die Halle war überfüllt. In einem dröhnenden Geschmetter, das von einer kaum sichtbaren Musikkapelle herrührte, bewegte sich eine konturenlose Menschenmenge. Sie hopsten umher, schoben und drückten sich, und manchmal fiel jemand zu Boden und erhob sich rasch wieder. Eine graue Glocke aus Rauch und Dunst hing über dem Gewoge. Kugelrunde Lampen, die ein altertümliches gelbes Licht ausstrahlten, leuchteten von der Decke herab. Etwa eine Minute lang sah Abschaffel dem Treiben zu, dann wandte er sich ab.
    Auf dem Weg in die Klinik konnte er es kaum glauben, daß sich Dagmar mit Sicherheit inmitten dieses Getümmels befand. Er begann schon jetzt, sich damit abzufinden, daß die Fasnachtszeit in Sattlach Dagmar und ihn rascher auseinandertrieb, als ihre eigenen Zwistigkeiten es wahrscheinlich vermocht hätten. In der Klinik empfand er Bedürfnis nach Zerstreuung; er setzte sich im Aufenthaltsraum vor einen eingeschalteten Fernsehapparat. Er konnte kaum herausfinden, wovon der Film, den er sah, eigentlich handelte oder

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