Abschaffel
über das Glas, wie ich es auch tue, weil er glaubte, damit würde er herumschwirrende Bazillen davon abhalten, in sein Weinglas zu fallen.
Das glauben Sie aber nicht, sagte Abschaffel. Nein, natürlich nicht, lächerlich, sagte sie, aber es geht mir nach bis auf den heutigen Tag, denn wir Kinder haben den Vater natürlich nachgeahmt, mindestens eine Weile lang.
Als sie gegessen hatten, ging Frau Schönböck auf die Toilette, und Abschaffel war froh, vielleicht für drei Minuten allein sein zu können. Es mußte etwas geschehen. Abschaffel wollte es nicht so weit kommen lassen, daß sie gemeinsam darüber berieten, ob sie weiter zusammenbleiben sollten oder nicht. Gern wäre er einfach gegangen, aber Abschaffel haßte solche betonten Situationen. Eigentlich erwartete er, daß Frau Schönböck bemerkte, was er wollte, und sich ihrerseits verabschiedete. Er fühlte ein gräßliches Durcheinander in seinem Kopf. Er wußte noch nicht einmal genau, warum er mit ihr nichts zu tun haben wollte. Was sie erzählt hatte, war nicht durchgehend langweilig gewesen. Abschaffel hatte sich sogar weiter für den Vater von Frau Schönböck interessiert, und als er bemerkt hatte, daß er für ihren toten Vater mehr Aufmerksamkeit erübrigte als für sie, schämte er sich und wurde stumm. Sie kam von der Toilette zurück, und es war alles zu spät. Mit einem Schwall von Sätzen und Worten setzte sie sich auf ihren Platz, und Abschaffel sah, daß sie sich neu geschminkt, frisiert und eingeduftet hatte, und er mußte einsehen, daß sie sich nicht für eine Verabschiedung hergerichtet hatte. Es ist eine Schande, sagte sie, daß mir mein Bruder nicht geholfen hat, und wenn Sie mir nicht geholfen hätten, dann hätte mir kein Mensch geholfen. Alles, was nun ablief, war für Abschaffel von widerwärtiger Geläufigkeit und wurde deshalb von ihm abgelehnt. Zugleich hatte er das Gefühl, daß sein Anspruch auf Einmaligkeit sentimental und kindisch und unhaltbar war. Es kam ihm der niederschmetternde Gedanke, daß er vielleicht nicht gelernt haben könnte, alles, was öfter als einmal geschah, auch noch gelten zu lassen. Er wollte bloß immer die Butter vom Butterbrot, die Streusel vom Streuselkuchen, und der große Rest bereitete ihm eine Enttäuschung. Weil er sich dies in diesem Augenblick eingestand, war er etwas freundlich. Frau Schönböck redete und blickte umher und freute sich, und Abschaffel bemerkte, daß sie ihm in diesen Augenblicken die Führung des Abends übergab. Er mußte ein Zeichen geben, aus dem klar wurde, daß er verstanden hatte, und er griff in die Innentasche seines Anzugs, holte seine Brieftasche heraus und winkte den Ober herbei. Aber ich habe Sie doch eingeladen, Herr Abschaffel, rief sie lachend, stecken Sie nur Ihr Geld wieder weg. Abschaffel lachte ein wenig, der Ober war am Tisch, und Frau Schönböck zahlte. Die meisten Ober sind immer noch unheimlich verblüfft, wenn Frauen zahlen, nicht wahr, sagte sie. Abschaffel quittierte den Satz zustimmend, es war ein richtiger Satz für das Verlassen des Lokals. Sie gingen zu Frau Schönböcks Wagen, sie redeten und redeten, sogar noch über das Autodach hinweg. Der weitere Ablauf war schwieriger, weil es fast nicht zu schaffen war, nur auf Grund von Zeichengebung sich zu einigen, daß man nun in eine Wohnung wollte, noch schwieriger die Klärung der Frage, in welche Wohnung, in ihre oder in seine. Abschaffel wünschte nicht, mit ihr in seine Wohnung zu gehen; seine Wohnung mußte unbedingt als Zuflucht für ihn bereit und frei gehalten werden, wenn er wieder allein war. Frau Schönböck fuhr schon, und die Atmosphäre war angespannt, weil sie ohne Zeichenangabe fuhr. Sie fuhr in der Gegend herum und wartete auf die Zeichengebung. Allzu lange konnte sie nicht ohne Zeichen mit ihm herumfahren, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, daß das Herumfahren selbst zu einem Zeichen für Lustlosigkeit wurde. Da fragte Abschaffel, wo sie denn den Tisch und den Stuhl hinstellen werde. Frau Schönböck nahm das Zeichen mit brausender Dankbarkeit auf. Das ist ein Problem für mich, ich habe ja nur zwei Zimmer, sagte sie, in dem einen Zimmer ist das Kind, dem ich nicht noch mehr Platz wegnehmen darf, ich muß die Sachen in meinem Zimmer unterbringen, obwohl da auch wenig Platz ist, Sie haben es ja gesehen, aber irgend jemand mußte die schönen Stücke ja vor dem Sperrmüll retten; vielleicht muß ich einen Sessel rausschmeißen oder irgend etwas anderes, aber was, aber was, sagte
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