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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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war ein Gespräch entstanden, ob man nicht doch vorher einen Arzt holen sollte. Frau Schönböck mochte nicht mehr hinsehen. Herr Abschaffel, sagte sie, würden Sie mir einen Gefallen tun. Worum geht’s denn, sagte er. Ich müßte heute abend aus der Wohnung meiner Tante einen schönen Tisch und einen Stuhl in meine Wohnung transportieren mit meinem Auto, und ich wollte Sie fragen, ob Sie mir vielleicht dabei helfen? Heute abend? fragte Abschaffel überrascht zurück. Ja, sagte Frau Schönböck, ich habe keine andere Möglichkeit. Na gut, sagte Abschaffel. Oh, das ist nett, danke schön, sagte Frau Schönböck. Gersthoff war endlich aufgeladen und wurde hinausgetragen. Die Angestellten sahen dem Abtransport nach. Sie gingen an die Fenster und sahen auf die Straße. Die Bahre wurde auf Rollen und Schienen in den Krankenwagen hineingeschoben. Abschaffel überlegte, ob der Krankenwagen nun mit oder ohne Blaulicht losfährt. Er fuhr ohne Blaulicht, und Abschaffel schloß daraus, daß die beiden Träger Gersthoffs Anfall offenbar als nicht besonders schwerwiegend einschätzten. Die Angestellten gingen an ihre Plätze zurück. Die Weichheit, die der Zwischenfall mit sich gebracht hatte, hielt den ganzen Nachmittag an. Der Schreck hatte die Gesichter anmutig und sanft gemacht. Man ließ sich leichter unterbrechen und schaute länger in die Leere. Alles war etwas langsamer. Der Schrecken des Todes hatte die Lebenden besinnlich gemacht. Der Nachmittag war schön.
    Nach Feierabend fuhren Abschaffel und Frau Schönböck gemeinsam los. Sie schimpfte auf ihre Familie, besonders auf ihren Bruder, der ihr die Hilfe verweigert hätte. Zuerst fuhren sie zu einer Bekannten von Frau Schönböck, holten dort einen Dach-Gepäckträger ab, den Abschaffel aufschraubte, dann in die Wohnung der Tante. Abschaffel trug Tisch und Stuhl hinunter und band sie auf dem Dach-Gepäckträger fest und trug beides in die Wohnung von Frau Schönböck hinauf. Frau Schönböck sprang um ihn herum und öffnete die Türen und schloß sie wieder. Als sie den Dach-Gepäckträger ebenfalls zurückgebracht hatten, sagte Frau Schönböck zu Abschaffel: Jetzt möchte ich Sie zum Essen einladen. Oh, das ist nicht nötig, sagte Abschaffel. Ich bestehe darauf, sagte sie mit gespielter Hartnäckigkeit, die Abschaffel überhaupt nicht gefiel. Zweifellos mußte sie ihre Dankbarkeit ausleben, vielleicht sogar mehr, wie Abschaffel schon fürchtete.
    Sie gingen in ein griechisches Lokal, und Frau Schönböck erzählte alles, was ihr einfiel. Sie hielt die Hand über ihr Weinglas und rauchte und sprach von ihrer Kindheit. Abschaffel hätte gern schon jetzt gewußt, wie der Abend enden würde. Er wollte ganz sicher sein, daß er recht bald, das heißt nach dem Essen, von Frau Schönböck loskäme. Weil er dies nicht zuverlässig wußte, störte ihn alles. Es störte ihn der Tropfen Bier, der vom Glas eines Gastes vom Nebentisch auf dessen Zeitung herunterfiel, es störten ihn die Männer, die aus der Toilette kamen und noch immer mit der Schließung ihres Hosenladens beschäftigt waren, und es störte ihn Frau Schönböcks Angewohnheit, abgebrannte Streichhölzer wieder in die Schachtel zurückzustecken. Warum legen Sie immer Ihre Hand auf das Weinglas, fragte er, weil ihn auch das störte.
    Mache ich das schon wieder! rief Frau Schönböck. Das habe ich von meinem Vater, und ich kann es mir nicht abgewöhnen! Mein Vater ekelte sich vor allem, sagte sie, das fing schon an, als mein Bruder und ich noch Kinder waren, wir kamen aus der Schule und wollten unseren Vater küssen, er ekelte sich aber vor uns und hielt uns mit dem Arm zurück. Er aß auch nicht mit uns! sagte sie. Die ganze Familie aß im Wohnzimmer, er aber aß in der Küche allein, weil er sich davor ekelte, die anderen beim Essen zu sehen und zu hören. Zum Friseur ging er auch nicht, der Friseur mußte in unser Haus kommen, weil er die abgeschnittenen Haare anderer Leute nicht ertragen konnte. Und auch mit dem Friseur konnte er nicht im Haus bleiben; wir hatten einen Garten hinter dem Haus, sagte sie, und im Garten stand ein kleiner Pavillon, und dahinein setzte er sich, der Friseur immer hinterher, weil mein Vater behauptete, die Haare seien voller Bazillen und Haare dürften auf keinen Fall in die Wohnung, sagte sie. Schrecklich, sagte sie. Und warum legen Sie die Hand auf Ihr Weinglas, fragte Abschaffel. Ach so ja, sagte sie, das habe ich ja sagen wollen, wenn er nämlich Wein trank, hielt er seine Hand so

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