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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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drückte sie wieder in ihr Fach, er hob den Telefonhörer an sein Ohr und legte ihn wieder zurück, er zog das Uhrwerk seines kleinen Weckers auf, er schaltete das Licht ein und aus und bewegte eine Schere, ohne etwas zu schneiden. Aus dem Stand heraus, ohne einen entsprechenden Wunsch, kam er plötzlich auf die Idee, eines der dreißig oder vierzig Bordelle in der Bahnhofsgegend zu besuchen. Gleich war er dabei, sich die Situation vorzustellen, wenn das Mädchen sich bemühte, sein Glied aufzurichten und das nicht gelang, weil er erst vor zwei Stunden zweimal nacheinander onaniert hatte und jeglicher Geschlechtsdruck verschwunden war. Aber sicher war doch wieder etwas SCHMUTZ da, den er sich entfernen lassen konnte. Er steckte etwas Geld ein und machte sich gleich auf den Weg. Er fuhr mit der U-Bahn in die Bahnhofsgegend. Kaum war er dort, hatte er ein schlechtes Gewissen, nur weil die Zeit verging und er sich in diesem Zeitvergehen nicht richtig definiert fühlte. Er ging in das erstbeste Haus, in dem er schon einmal gewesen war. Das Erdgeschoß war wie in fast allen Häusern zu einer Art Halle umgebaut, in der die Mädchen standen oder fröstelnd auf Barhockern saßen und strickten. Es war lächerlich, aber wie immer suchte er in seinem Kopf irgendeine Instanz, wo er sich dafür entschuldigen konnte, daß er hier war. Er fand es empörend, daß sich jeder hier eine Frau nehmen konnte. Er glaubte, er müsse unentwegt sprechen und immerzu alles erklären, ausgerechnet hier, wo kaum gesprochen wurde. In diesem Haus war er einmal mit einer Frau zusammengewesen, die ihm eine schöne Geschichte erzählt hatte. Er war kindisch aufgeregt gewesen, er hatte seine Brille auf den Boden fallen lassen und war beim Bücken fast hingefallen, da hatte sie ihn gefragt, warum er denn so aufgeregt sei. Wahrheitsgemäß hatte er geantwortet, er wisse es nicht. Ficken ist das einzige, was ich tun kann, ohne dabei aufgeregt zu sein, hatte sie dann gesagt, und Abschaffel hatte sofort das Ausziehen verzögert, um mehr von ihr zu hören. Wie kam das? hatte er gefragt, als sie nicht wollte, und sie hatte gesagt: Du, wir sind nicht zum Geschichtenerzählen hier. Ich schon, sagte er. Jetzt bringen wir es erst, und dann sag ich dir’s, aber vorher krieg ich noch’n Fünfziger von dir. Abschaffel legte rasch das Geld auf den Tisch, er bestieg sie, sie sah ihn von unten an wie ein Polizist, und nach weniger als drei Minuten waren sie fertig. Also, sagte er. Warum das so ist, weiß ich natürlich auch nicht, es ist mir auch gleichgültig; ich habe nur gemerkt, sagte sie, als ich anfangen wollte, normal zu leben wie alle anderen, daß ich immerzu aufgeregt war. Ich konnte kaum etwas machen, ohne dabei zu zittern, sagte sie, es war schrecklich. Ich mußte mit allem früher aufhören, weil meine Aufregung dazwischenkam. Außer beim Ficken, da wurde ich völlig ruhig, aber völlig, das kannst du dir gar nicht vorstellen, was für eine Erholung das war, wenn du sonst immer so zappelig bist. Ich war Verkäuferin gewesen, dann habe ich aber immer mehr gefickt. Schon in der Schule war ich so fürchterlich aufgeregt! sagte sie. Ich fürchtete mich, vom Lehrer aufgerufen zu werden und vor ihm und allen anderen etwas aufsagen zu müssen, aber das kannst du dir wirklich nicht vorstellen, nein. Ich war so aufgeregt, daß ich sogar das vergaß, was ich wirklich konnte, das Lesen zum Beispiel. Es war grauenhaft für mich, aufgerufen zu werden und etwas vorlesen zu müssen. Ich hatte immer das Gefühl, ich sei beim Lesen zu schwach oder zu leise oder zu langsam, was weiß denn ich, aber das war so mächtig, daß ich wirklich dazu überging, nicht mehr richtig, also Wort für Wort, vorzulesen, sondern den Schluß eines Wortes zum Beispiel, von dem ich den Anfang noch richtig gelesen hatte, einfach zu erraten, damit ich das Wort schnell heraussagen konnte. Dadurch kam ich aber beim Weiterlesen fürchterlich ins Flattern, weil ich unsicher war, ob das von mir ausgesprochene Wort auch richtig war. Dadurch ging meine Aufmerksamkeit zu diesem Wort zurück, wo das Lesen doch vorangehen sollte! Und schon war ich in den Stockungen drin, und stell dir jetzt einmal meine Aufregung vor. Die anderen wurden unruhig und kicherten schon, weil sie natürlich glaubten, ich könnte wirklich nicht lesen. Das hat mich noch nervöser gemacht, und ich ging dazu über, sogar ganze Sätze, von denen ich eben nur den Anfang gelesen hatte, zu erraten und zu phantasieren, und damit war

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