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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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tatsächlich mein Mann geworden. Es ist unglaublich, sagte sie. Und ich war immer gut zu ihm und habe alles getan, wie ich es von meiner Mutter gelernt hatte, und es gefiel meinem Mann, und er bemerkte nichts. Kotzen, Kacken und Hassen, das hab ich plötzlich gekonnt, als ich nicht mehr in der Ehe war, sagte sie. Seht ihr euch heute noch? fragte Abschaffel. Ja, sagte Margot, und für ihn ist es immer schrecklich; er braucht nur in meiner Nähe zu sein, und schon beginnt er wieder um mich zu werben, er kann gar nicht anders, weil ich für ihn DIE FRAU war.
    Sie aß langsam und redete viel. Manchmal hielt sie sich einen Bissen, den sie auf der Gabel hatte, eine Weile vor den sprechenden Mund, führte ihn an die Lippen und wieder weg, wenn sie, statt zu essen, doch wieder reden wollte. Und heute, was machst du heute? fragte Abschaffel; hast du einen Freund? Nein, sagte sie. Ich bin fünfunddreißig, und dann wird es schwer für eine Frau. Vom Alter her müßte es ein Vierziger sein, aber ein Vierziger geht nicht, weil Männer in diesem Alter schon verfinstert und hart wie Steine sind, da bewegt sich nichts mehr, sagte sie. Ich kann nur einen Mann finden, der so alt ist wie du und dem es nichts ausmacht, wenn die Frau ein paar Jahre älter ist. Alles andere ist unmöglich, sagte sie. Eine andere Rolle, die mir bleibt als alleinstehende Frau, ist die, daß ich in Ehepaare einbreche. Das ist gar nicht schwer, man braucht nur ein bißchen zu glitzern, dann kommen die Ehemänner. Aber dann hat man den Krampf mit den Ehefrauen, und alles wird sehr schnell ganz gräßlich. Am Anfang des Jahres habe ich mir mal die Haare rot färben lassen, dann ist alles noch viel leichter. Mit roten Haaren kann ich Ehen reihenweise ummähen, sagte Margot. Darüber war ich dann beleidigt. Wenn es lediglich die roten Haare sein sollen, die etwas aus einem machen, dann will ich es auch nicht. Und seither färbst du dir die Haare nicht mehr? fragte Abschaffel. Nein, nicht mehr, sagte sie.
    Und wo gehst du mit deinen Gefühlen hin, sagte Abschaffel. Ich weiß nicht, vielleicht habe ich keine mehr, sagte sie. Jedenfalls frage ich mich heute nicht mehr, ob ich mich verlieben soll oder nicht. Ich habe meine Sexualität, und das ist etwas zum Verleben. Mehr weiß ich nicht mehr, sagte sie. Früher mußte ich gegen meine Gefühlshaftigkeit Valium nehmen. Aber das ist heute vorbei, sagte sie. Du hörst mir nicht zu, sagte sie. Doch, ich habe dich nur nicht angeschaut, während ich dir zuhörte, sagte er. Wo hast du hingesehen, sagte sie. Zu dem Ehepaar hinüber, dort das Ehepaar mit Kind, sagte Abschaffel; das Ehepaar hat Streit und schimpft miteinander, aber zwischendurch sprechen beide milde mit dem Kind, das hat mich interessiert.
    Abschaffel rauchte und sah umher. Sie waren mit Essen fertig. Sie entzündete ein Streichholz und blies es wieder aus, spitzte ein Ende des Streichholzes mit dem Messer an und pulte sich damit Essensreste aus den Zähnen. Die herausgeholten Reste hingen als kleine Klumpen an dem Streichholz; sie entfernte sie mit den Fingern und streifte sie am Tellerrand ab. Sie schwieg. Abschaffel überlegte, ob er ihr sagen sollte, daß er zur Zeit, bis morgen, noch Läuse hatte. Er schämte sich und blieb in seiner Scham befangen. Margot spitzte sich ein zweites Streichholz und reinigte sich die obere Zahnreihe. Abschaffel wollte nicht mit ihr schlafen, solange er Läuse hatte oder deren Ausrottung andauerte. Es wurde ihm unbehaglich. Er wußte nicht, wie er die Situation lösen sollte. Sie hatten ihre Gläser ausgetrunken, und jeden Augenblick konnte der Kellner erscheinen und fragen, ob er neuen Wein bringen solle. Abschaffel spürte, wie er sich aus Ratlosigkeit ärgerte. Er kam in ein Schweigen hinein, das für ihn selbst wie eine Bösartigkeit war. Ich habe eben einen Mann beobachtet, sagte Margot, dort drüben sitzt er, einen Vater mit seinem Kind, der knipste dem Kind mit zwei Fingern an die Stirn und sagte: Kopfschuß. Wie findest du das? sagte Margot und lachte. Soll man ihm die Vaterkonzession entziehen, sagte Abschaffel. Margot lachte. Man darf sich nicht zu sehr umsehen, es kommt nur Niedergeschlagenheit dabei heraus, sagte er. Sollen wir den unsympathischsten Menschen in diesem Lokal ausfindig machen? sagte sie. Abschaffel lachte. Dazu müssen wir aber umfangreiche Beobachtungen anstellen, sagte er. Samstags abends können wir das mal machen, jetzt habe ich aber keine Zeit mehr, ich muß gleich weg, sagte sie. Wie schade!

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