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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Er durchstreifte die Halle, er sah angeleuchtete spanische Trauben und italienische Birnen, am Wegrand stehende Säcke voll mit Erdnüssen und Walnüssen, in Holzkästen Pistazien, Paranüsse und blanchierte Mandeln, dazwischen, auf anderen Ständen, Ceylon-Zimt und rote japanische Sojabohnen, oberhessische Speckwurst und badische Laugenbrezeln, Käsepyramiden, in Beuteln verpackte Oliven, griechischen Wein, kernlose Clementinen, italienische Maronen und grünen Chinakohl, französische Austern und obendrüber, eine neben der anderen, westfälische Knoblauchwürste, einen Stand weiter marokkanische Tomaten und deutsche Coxorangen, und dazwischen immer wieder schöne kaufende Frauen und lebensfrohe Männer hinter den Ständen, denen das Leben offenbar leicht war.
    Abschaffel war benommen. In welcher Welt lebte er, daß er derart eingenommen und überrascht war von einer Markthalle? Er war ein Angestellter und allein, und er sah die Welt nicht. Filzläuse mußten sich ihm in die Schamhaare setzen, damit er einmal zum Arzt gehen und bei dieser Gelegenheit in die Stadt stolperte und bei Tageslicht in eine Markthalle geriet. Er ging zurück zum Eingang, und er war immer noch sentimental über die Dürftigkeit seines Lebens, daß er nicht auf die Idee kam, irgend etwas zu kaufen und es mit nach Hause zu nehmen. Er war etwas müde geworden. Es war zwölf Uhr, und er beschloß, sich in ein Lokal zu setzen und etwas zu essen. Er war schon dabei, bei der Gegenüberstellung seines Lebens als Angestellter mit dem Leben in der Markthalle die erste große Traurigkeit dieses Tages anzuzetteln, da sah er ein italienisches Lokal. Er freute sich, und es gelang ihm, einer anrückenden Depression aus dem Weg zu gehen. Er sah in dem Lokal eine Art Fortsetzung der Markthalle, und als er im Eingang stand, sah er in dem halbleeren Innenraum eine Frau einzeln an einem Tisch sitzen. Die Frau saß mit dem Rücken zur Tür, und Abschaffel beschloß, sich an den Tisch der Frau zu setzen. Er war in guter Stimmung und freundlich, und die Frau hatte nichts dagegen, als er sich zu ihr setzte. Sie erzählte sofort, daß sie Goldschmiedin sei und einige Tage Urlaub hätte, den sie nun, bevor das Jahr um sei, verleben mußte. Ich habe aber kein Geld und kann nicht wegfahren, sagte sie. Abschaffel bestellte eine Pizza und Rotwein. Die Goldschmiedin war klein und kompakt gebaut, vielleicht fünfunddreißig Jahre alt, die Haare etwas grau, der Mund klein, das Gebiß schmal und eng nach hinten fliehend. Sie hatte etwas Schnupfen und deshalb ein kleines Taschentuch zusammengeknüllt neben ihrem Teller liegen. Abschaffel redete lange mit ihr.
     
    Das Läusemittel, mit dem Abschaffel am Abend allein in seiner Wohnung war, hieß JACUTIN und war eine weiße Flüssigkeit, eine Emulsion zum Auftragen. Er stellte die Kunststoffflasche auf den Tisch und las die Gebrauchsanweisung. Es war ein Kontakt-, Fraß- und Atemgift für Insekten und tierische Parasiten, so hieß es. Er war immer noch gutgelaunt, und die Vorstellung, daß die Läuse offenbar keine wirklichen Feinde und Gegner waren, wenn sie so leicht aus der Welt zu schaffen waren, machte ihn zufrieden. Er setzte sich auf einen Stuhl und sah sich ausgiebig in die Schamhaare. Er wollte gern sehen, wie die Läuse ahnungslos umherliefen, und sie dann mit JACUTIN bösartig überraschen. Die Läuse liefen auch jetzt nicht umher, sie saßen fest und rührten sich nicht. So saß er eine ganze Weile mit entblößtem Unterleib auf dem Stuhl und dachte meistens an nichts. Manchmal dachte er an die Goldschmiedin, die er morgen wiedersehen wollte. Er war mit ihr bis tief in den Nachmittag hinein in dem Lokal sitzen geblieben, und Abschaffel hatte soviel geredet und zugehört wie schon lange nicht mehr. Die Frau hieß Margot. Er wollte sie morgen im gleichen Lokal zur gleichen Stunde wiedersehen, sie wollten wieder essen und wieder Rotwein trinken, sie wollten alles noch einmal.
    Er schüttete eine kleine Lache JACUTIN auf die linke Handfläche, roch etwas daran und rieb sich die Flüssigkeit in die Schamhaare. Gespannt sah er hin, was geschah. Es geschah nichts, nur verteilte sich die Emulsion klebrig in der Schamgegend. Er zog eine frische Unterhose an und lief eine ganze Weile in der Wohnung umher, weil er herausfinden wollte, was anders geworden war. Es fühlte sich an, als hätte er sich gewaschen und nicht abgetrocknet. Von Zeit zu Zeit zog er die Unterhose herunter und sah nach, ob sich etwas verändert hätte.

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