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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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geküßt, ich selbst mache es nicht mehr so gern, sagte sie. Die Überschätzung der Sexualität hört doch jenseits der Dreißig auf, sagte sie. Was? fragte er; Überschätzung der Sexualität? Das hatte er noch nie gehört. Er traute sich nicht, ihr zu sagen, daß sie sich ausziehen solle, und begann mit der Hand unter ihre Bluse zu fassen. Seine Bewegungen unter ihrer Bluse waren ihm unangenehm. Er dachte an Indianerspielen und Kinderferien am Meer, und er mußte sich anstrengen, seiner eigenen Hand nicht zuzusehen, als sie unter dem Blusenstoff Spuren zog. Abschaffel wunderte sich, wie weit sie ihren kleinen Mund öffnen konnte. Komm, wir ziehen uns aus, sagte er schließlich doch, aber erst, als sie beide ohnehin mit Ausziehen angefangen hatten. Sofort störte ihn seine Unterwäsche auf dem Stuhl, wo er sie gerade hingelegt hatte. Sie erinnerte ihn an die ewige Scham der Körperöffnungen; war nicht wieder ein brauner Fleck in der Unterhose? Oder viele kleine weißliche Flecke von unbemerkt ausgeflossenem Samen? Er glaubte, er müsse seine Unterwäsche zudecken wie eine bereits entdeckte Schande. Er wollte es unauffällig tun, und er zwang seine Panikscham in ein paar beiläufige Schritte zum Stuhl. Tatsächlich wickelte er seine Unterwäsche zu einem Knäuel zusammen und verstaute sie unter seiner Hose. Warum bist du zu Hause? fragte sie. Mußt du nicht arbeiten? Ich war ein bißchen krank, nicht schlimm, mehr Faulenzen, sagte er. Ah so, machte sie. Und jetzt willst du mich schwächen, sagte sie. Schwächen? Ja, ja, sagte sie, so heißt es in der Bibel, wenn zwei miteinander schlafen: Und Jakob schwächte sein Weib, das ist schön, nicht? Abschaffel hatte das nie gehört und nie gelesen, und er wußte nicht, ob es ihm gefiel oder nicht. Immer wieder zitierte sie solche Bibelsprüche, was Abschaffel schon etwas störte, weil sie immer gleich seine Meinung dazu hören wollte. Frierst du, fragte er, als sie ausgezogen war. Ja, sagte sie, ich friere immer. Wo am meisten? An den Füßen, sagte sie, sie sind jetzt schon wieder eiskalt. Frieren ist eine deiner wichtigsten Lebensäußerungen? fragte er. Ja, sagte sie. Noch kurz bevor er in sie eindrang, glaubte Abschaffel, es könnte alles nicht gelingen. Sie lag auf dem Rücken und streckte die Beine hoch, und Abschaffel sagte, ist es nicht ein neues Unglück, daß ausgerechnet du, die du an den Füßen frierst, die Beine in die Kälte hochstrecken mußt? Doch, sagte sie, das Blut geht aus meinen Beinen heraus, und dadurch werden sie noch kälter. Sie öffnete den Mund und atmete schön. Abschaffel glaubte nicht an Gott, aber wenn er beischlief, rief er ihn mehrfach an: O Gott o Gott o Gott, sagte er und schwieg wieder. Die Anrufung des Gottes war nur eine Verschönerung des Gefühls, eine Art Verzierung, und als es ihm kam, sagte er einige Male nacheinander: Au au au au. Tut es dir weh, sagte sie. Nein, sagte er, ich bin da, und es ist gut. Er sank über ihr zusammen, und sie sagte, du kannst auf mir liegen bleiben und einschlafen, es macht mir nichts aus. Einschlafen auch nicht? Nein, sagte sie. Abschaffel schlief nicht ein. Er blieb in sie verklumpt, und eine Weile redeten sie nichts.
    Willst du etwas trinken? fragte er. Nein. Aber ich muß etwas trinken, sagte er. Er löste sich von ihr und ging an den Eisschrank in der Küche und schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein. Als er mit dem Glas in das Zimmer zurückkam, hatte sich Margot auf die Seite gedreht. Er sah ihren Rücken und Hintern. Zwischen ihre Beine hatte sie sich ein Papiertaschentuch geschoben, von dem hinten eine Ecke heraussah. Abschaffel gefiel dieses Bild so gut, daß er ein paar Augenblicke stehenblieb und es betrachtete. Sie sieht aus wie eine Frau, die bei mir in der Wohnung liegt, dachte er. Geht es dir gut, sagte sie schläfrig. Ja, sagte er. Dann ist es gut, sagte sie. Sorgfältig verschloß er die Tür, damit der Geruch der beiden Geschlechter möglichst lange im Zimmer blieb. Sie kratzte sich. Das ist der eintrocknende Schweiß, das juckt immer, sagte sie. Abschaffel trank aus einem Glas und legte sich zu ihr. Sie lagen nebeneinander und zogen sich aus dem Mund die Haare heraus, die beim Lieben hineingeraten waren. Abschaffel breitete eine Wolldecke über ihr und sich aus, und bald schliefen sie ein.
     
    Es ist eine ganz tolle Verzweiflung, wenn man merkt, daß man dort, wo man ist, nicht hingehört. In dieser Verzweiflung befand sich Abschaffel, als er wieder im Büro war. Er konnte

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