Abschaffel
Abschaffel.
In der Mittagspause schloß sich ihm Frau Schönböck an. Im äußersten Fall würde er noch einmal mit ihr weggehen, wenn sie mit Andeutungen sehr aufdringlich wäre. Aber sie machte es ihm einfach. Als sie zusammentrafen, schwieg sie eine Minute, was für sie sehr ungewöhnlich war. Ihre Zurückhaltung bedeutete, daß sie ihm die Themenwahl ließ, und Themenwahl hieß: Er konnte zum Ausdruck bringen, ob er sie noch einmal wollte oder ob er sie nicht mehr wollte. Und weil Abschaffel die volle Länge ihres Schweigens mitschwieg, war die Sache entschieden. Er wollte nicht mehr, und es würde sich nichts mehr ereignen. Und Frau Schönböck war intelligent im Verzichten. Wahrscheinlich war ihr das Verzichten geläufig, der Rückzug vertraut. Ihr Beischlaf mit Abschaffel war nicht mehr das, was er noch in ihrer Wohnung gewesen war, eine Spekulation der Hoffnung auf irgend etwas. Nachdem sie erfahren hatte, daß Abschaffel diese Spekulation nicht weiter stützte – und eine Minute Schweigen war dazu ausreichend –, war ihr gemeinsamer Beischlaf plötzlich etwas anderes, eine bloße Freiheit, die man sich heutzutage herausnehmen konnte, ein Sexualimbiß unter Angestellten der gleichen Firma. Und wer sich eine Freiheit genommen hatte, war um eine Spur vergnügter. Nicht geredet wurde über die Hoffnung, die der Freiheit so spendierfreudig den Weg gewiesen hatte. Und wer, wie Frau Schönböck, zu verzichten hatte, mußte rasch im Umwerten sein. Was eine Hoffnung gewesen war, wurde umgemünzt in eine blödsinnige Ausschweifung. Frau Schönböck erzählte ihm irgend etwas, was weder mit ihr noch mit ihm etwas zu tun hatte. Sie war vergnügt enttäuscht.
Dies wurde in wenigen Augenblicken entschieden. Frau Schönböck und Abschaffel schlüpften in ihre Rollen als Angestellte zurück, die sich in der Mittagspause gelegentlich trafen. Es ist mir etwas Furchtbares passiert, Herr Abschaffel, sagte sie. So, sagte er. Ich bin, als Sie krank waren, zu einer Bekannten von mir gefahren. Sie wohnt auf dem Land, zwölf Kilometer von hier, eine düstere Gegend, fast schon Dorf, sagte sie. Abschaffel und Frau Schönböck saßen sich wieder an einem Zweiertisch in der Kantine gegenüber und aßen Menü 1, das billigste. Und wie ich da so fahre, es war schon dunkel natürlich, sagte sie, sehe ich im Scheinwerferlicht rechts von mir am Straßenrand einen Menschen liegen. Ich bin furchtbar erschrocken und trat im selben Augenblick auf die Bremse und fahre rechts heran und halte fast genau vor dem Menschen, der da lag, und es war wirklich ein Mensch, ich habe es genau gesehen im vollen Scheinwerferlicht. Ich beuge mich nach rechts herüber über den Nebensitz und mache die Tür auf, und in diesem Augenblick, genau in diesem Augenblick, habe ich furchtbare Angst gekriegt, die furchtbarste Angst meines Lebens. Denn in diesem Augenblick habe ich gesehen, daß es doch kein Mensch war, der da lag, sondern eine Puppe, eine große Puppe, mit Menschenkleidern angezogen. Ich habe sofort die Tür zugeschlagen, voll von Angst, ich habe kaum das Gaspedal drücken können, so weich waren meine Beine. Und ich bin weitergefahren, bis zu meiner Bekannten war es nicht mehr weit, und als ich bei ihr war und angehalten habe, sehe ich, daß mein Nebensitz mit Blut verschmiert ist, alles voll Blut der Stoff, und ich sehe zwei abgetrennte Fingerkuppen auf dem Nebensitz liegen, an den Fingernägeln habe ich’s erkannt, sagte Frau Schönböck. Abschaffel sagte kein Wort. Verstehen Sie, sagte Frau Schönböck laut, es hat mich einer aus dem Wagen locken und überfallen wollen, sagte sie, mit Hilfe dieser Puppe, meine Angst ist dem Überfall aber zuvorgekommen, und meine Angst hat dem Kerl zwei Finger oben abgeschlagen, denn seine Hand muß schon in meinem Auto gewesen sein in dem Augenblick, in dem ich die Tür furchtbar zuschlug und weiterfuhr.
Das ist furchtbar, sagte Abschaffel. Nicht, sagte sie. Die Geschichte mußte wahr sein, dachte er, Frau Schönböck war nicht in der Lage, so etwas zu erfinden. Nur glaubte er nicht, daß sie Frau Schönböck zugestoßen war. Sie hatte die Geschichte von jemand gehört und gab sie nun als ihre Geschichte aus. Es hat jemand zwei Finger verloren, weil er Sie überfallen wollte, sagte er. Ja, sagte sie. Wenn Abschaffel nicht mit ihr zusammengewesen wäre und sie hätte ihm diese Geschichte erzählt, hätte er ohne weiteres gesagt, daß er nicht glaube, diese Sache sei ihr zugestoßen. Wenn es so gewesen wäre,
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