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Abschaffel

Titel: Abschaffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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seinen neuen Stiefeln. Es war Winter, es lag Schnee, und die Stiefel waren gut für dieses Wetter. Er kam ins Wartezimmer, und zwar als letzter Patient, wie sich herausstellte. Vor ihm waren noch zwei oder drei Leute, die vor ihm aufgerufen wurden. Und mein Vater sah, daß sich aus den gerippten Sohlen seiner neuen Stiefel Schnee gelöst hatte, der um seine Schuhe herum zu einer großen schmutzigen Lache geworden war. Und er wollte nicht derjenige sein, der einen solchen Dreck in einem Wartezimmer hinterläßt, sagte Abschaffel, und deswegen setzte er sich, einfältig und schlitzohrig, einfach auf einen anderen Platz. Er war ja zu diesem Zeitpunkt ganz allein im Wartezimmer. Bald öffnete die Sprechstundenhilfe die Tür und rief meinen Vater herein. Vorher sah sie die große Lache auf dem Boden, und sie sagte: Welche Sau war denn das. Das hat meinen Vater furchtbar in seiner Ehre getroffen. Er fand, auch jemand, dessen Schuhe einen solchen Dreck verursacht hatten, brauchte sich nicht eine Sau nennen lassen. Aber er konnte nicht mehr gegen die Sprechstundenhilfe vorgehen, sonst wäre er mit seiner eigenen Feigheit konfrontiert worden. Und am Abend schimpfte er plötzlich auf die Schuhe. Nun waren plötzlich die Schuhe an allem schuld, und ich, der Sohn, der die Idee zum Kauf dieser Schuhe geliefert hatte, war als Vorbild wieder einmal zertrümmert.
    So einfach ist dein Vater, sagte Margot. So einfach ist er, sagte er.
    Hast du eine Idee, was wir heute abend machen, sagte Margot. Es war nach acht Uhr geworden. Ich habe keine Ahnung, sagte Abschaffel; sollen wir ins Kino gehen? Im Alemannia läuft zur Zeit ein Buñuel, sagte sie. Dann müssen wir uns beeilen, die Vorstellung geht um halb neun los, sagte Abschaffel; ich bestelle lieber mal zwei Karten telefonisch. Er suchte eine Zeitung und rief das Kino an. Abschaffel erfuhr, daß die Halb-Neun-Vorstellung ausverkauft war, nur zur Spätvorstellung um halb elf gab es noch Karten. Es gibt keine Karten mehr, sagte er und legte den Hörer auf. Oh, machte Margot, warum nicht? Alles ausverkauft. Wie schade! sagte sie; jetzt kann ich wieder etwas nicht sehen, wenn es für alle neu ist. Es sei denn, wir gehen in die Spätvorstellung um halb elf, sagte Abschaffel. Das können wir machen, sagte sie; dann müssen wir aber vor dem Kino vögeln und nicht hinterher; kannst du das überhaupt, sagte sie, nach hinten begrenzt vögeln, mit festen Zeiten, meine ich. Ich hab’s nie probiert, sagte er. Bestellte Karten für die Spätvorstellung müssen bis zehn Uhr abgeholt sein, sagte er, und das heißt, da wir ja auch noch zum Kino fahren müssen, wir haben noch knapp eineinhalb Stunden Zeit. Reicht das? sagte sie. Ich habe keine Ahnung, sagte Abschaffel.
    Onanierst du, fragte sie. Ja, sagte er. Oft? fragte sie. Unterschiedlich, sagte er, manchmal auch oft, du auch? Ja, sagte sie. Sie zogen sich aus und legten ihre Kleider so sorgfältig über Stuhllehnen, daß Abschaffel gerührt war. Sie war schneller ausgezogen als er und legte sich auf das Bett. Es störte ihn nicht, daß sie ihm beim Ausziehen zuschaute. Offenbar war Margot genauso eilig veranlagt wie er. Warum sollte man nicht nach dem Kino vögeln? Vielleicht war sie dann zu müde, vielleicht aber konnte sie es einfach nicht ertragen, daß man auf etwas warten mußte. Warum onanierst du, fragte sie. Um mich zu beruhigen, sagte er. Sein Geschlecht stand schon aufrecht, und es war ihm nicht ganz recht. Auch er hatte immer mehr das Gefühl, keine Zeit mehr zu haben. Vielleicht war die merkwürdige Form des erigierten Geschlechts daran schuld, daß er in Eile geriet. Man will diese Außerordentlichkeit wieder weghaben. Machen wir fein und lang oder einfach, sagte sie. Was meinst du, fragte er. Hast du mich nicht verstanden? fragte sie. Doch, ich glaube schon, sagte er, ich bin aber nicht ganz sicher. Man merkt, daß du nie verheiratet warst, sagte Margot; wenn Paare einige Jahre zusammen sind, dann stellen sich solche Verhaltensweisen heraus, die es ihnen ermöglichen, sich zu verständigen über das, was sie voneinander wollen. Und einfach heißt, daß du dich überhaupt nicht um mich zu kümmern brauchst, du kannst dich vögeln mit mir, und du brauchst hinterher keine Angst zu haben, daß ich dir eine Szene mache, weil ich zu kurz gekommen bin, sagte Margot. Fein und lang heißt, daß beide aufeinander achten, daß der Mann sich zurückhält, damit die Frau auch eine Chance kriegt und so weiter, verstehst du? sagte Margot. Ja, sagte

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