Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
natürliche Grenzen.«
»Wie meinst du das?«
»Sei froh.«
»Worüber?«
»Eben. Dass du einen Mann hast, dessen berufliches Potential Platz für ein Familienleben lässt. Ich lass dich jetzt kochen. Ciao, genieße den Abend.«
»Moment.«
»Ja?«
»Walter ist karrieremäßig nicht am Anschlag, nur weil er einmal zum Abendessen nach Hause kommt. Er hat einfach seine Work-Life-Balance ein bisschen besser im Griff als gewisse andere Leute.«
»Seine Auslastung scheint immerhin einen Work-Life-Balance-Spielraum zu ermöglichen. Das ist doch schön!«
»Es gibt eben Leute, die haben genug Talent, um nicht alles mit dem Fleiß machen zu müssen.«
»Und es gibt auch solche, bei denen fällt es auf, wenn sie fehlen.«
»Und solche, die müssen mit ständiger Präsenz daran erinnern, dass es sie noch gibt.«
»Wie Walter, zum Beispiel?«
»Walter kommt zum Essen auch mal nach Hause.«
»Ich dachte, nur ausnahmsweise?«
Der wahre Luxus
Klar, so ein Maybach mit Internetzugang und Drucker und alle Chromzierteile im Innenraum mit einer 24-Karat-Echtgold-Auflage vergoldet und überall doppelt gesteppten Ledernähten und hochflorigen Lammfellteppichen und Zimmermanns reliefartig in die Türverkleidung eingearbeiteten Initialen wäre schon okay. Auch zu einer Motorjacht wie der WallyPower 118 von Luca Bassani, mit 17 000 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von über 120 Kilometer pro Stunde würde Zimmermann nicht nein sagen. Und auch mit einer Vacheron Constantin Les Complications mit ewigem Kalender, Sprengdeckelboden aus Saphirglas und Gehäuseboden mit individuellem Dekor am Handgelenk würde er sich nicht allzu blöd vorkommen.
Auch ein Haus auf dem Suvretta-Hang über St. Moritz besitzen und es nie benutzen kommt Zimmermanns Vorstellung von Luxus sehr nahe. Und dazu eine nette Loft in der City, von der Sonja nichts weiß und in der sich eine Studentin aus der Ukraine rührend um die Pflanzen kümmert.
Aber seien wir ehrlich: Das alles ist nicht der wahre Luxus.
Der wahre Luxus ist Zeit.
Aber einer, der für ein Unternehmen auf dem Befestigungssektor mit über dreihundert Mitarbeitern verantwortlich ist, findet nicht einmal die Zeit, sich darüber bewusst zu werden, dass er keine hat. Noch ehe am Morgen nullsechsnullnull der Wecker richtig zu klingeln beginnt, hat er ihn schon zum Schweigen gebracht und ist aus der Tür, spült schon die Toilette, duscht schon den Rasierschaum ab, wählt schon die Krawatte, trinkt schon den Espresso, küsst Sonja schon goodbye.
An jeder roten Ampel ein paar Sekunden Aktenstudium, kein Kilometer ohne ein paar digitale Voice-Notizen. Und kurz darauf am noch verwaisten Empfang vorbei die acht Stockwerke hinauf in gestoppten hundertzwölf Sekunden (Bestzeit).
Wenn Frau Gärtner eintrifft, liegt sein digitaler Voice Recorder (kein Luxus) volldiktiert auf ihrem Schreibtisch, als würde Zimmermann ihr im Laufe der normalen Arbeitszeit auch nur eine Sekunde Zeit lassen, dessen Inhalt abzutippen.
Als Erstes revidieren sie zusammen die Termine des Tages, streichen ein paar, stellen ein paar um und quetschen noch ein paar weitere rein. Dazu nimmt Zimmermann ein Croissant, seinen zweiten Kaffee und seine ersten beiden Rennie Duo.
Bis Mittag ist er damit beschäftigt, den Überblick über die Meetings zu bewahren und deren Traktanden auseinanderzuhalten. Während der Mittagspause leitet er mit vollem Mund (zwei Sandwiches, einmal Thun, einmal Käse, plus zwei Diet Cokes) ein Spontanmeeting, während im Vorzimmer Frau Gärtner die Voice-Notizen nicht in den Computer übertragen kann, weil bereits die Teilnehmer des nächsten Meetings warten, das schon längst begonnen haben müsste, falls das übernächste sich nicht hoffnungslos verspäten soll.
Und so verfliegt auch der Nachmittag. Erst wenn die letzte Fehlentscheidung seines oberen Kaders vermieden, dessen letzter Denkfehler aufgedeckt und dessen letzte Fehlmaßnahme korrigiert ist, kann Zimmermann sich seiner eigentlichen Aufgabe zuwenden: dem Strategischen. Und das tut er dann nicht selten bis tief in die Nacht hinein.
Am Ende eines solchen Tages, als schon die Putzmannschaft durch die Etage geistert und Frau Gärtner endlich vor dem Bildschirm sitzt und den Kopfhörer an den Voice-Recorder anschließt, fasst Zimmermann einen radikalen Entschluss:
Er nimmt seine Agenda und schreibt mit fettem Filzstift in jeden Tag der nächsten drei Monate zwischen neunzehn Uhr und neunzehn Uhr fünfzehn: »Zeit!«
Familie Gublers
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