Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
Quality Time
»Kinder! Quality Time!« Barbara Gubler klatscht in die Hände und steht am Treppenabsatz. Keine Reaktion. Nur das dumpfe Pulsieren der Bässe aus Chris’ Zimmer. Seufzend geht sie die Treppe hoch. Sie trägt einen türkisfarbenen Rib-Nylon-Stringbody und eine bequeme Bodyhose mit ausdrucksvollem Muster in Fuchsia, Mandarin und Pink. Zum Rumtollen. Heinz Gruber ist schon im Garten und verankert das Badmintonnetz.
»Scheiße, er verankert das Badmintonnetz«, flüstert Jessy ins Telefon. Sie steht hinter der Gardine und ist grungy gestylt. Die Türe geht auf, und Barbara kommt rein. »Quality Time, Jessica, Papa wartet, mach Schluss, zieh dich um.«
»Ach, Mama«, fängt Jessy an, aber Barbara ist schon draußen und bearbeitet Chris’ Türe. Als er sie endlich hereinlässt, ist das Fenster weit offen und der Rauch beinahe abgezogen. »Wir hatten schon letzte Woche Quality Time«, brüllt Chris. Barbara stellt den Hip-Hop auf Zimmerlautstärke. »Davon kann man nicht genug haben«, sagt Barbara bestimmt, »komm jetzt.«
»Aber wenigstens nicht Federball«, bettelt Chris, »wenn mich jemand sieht…« Barbara ignoriert ihn und geht zu ihrem Mann in den Garten.
Sie kommt gerade rechtzeitig: Heinz Gubler, ein eher schwammiger, eher unsportlicher, eher unpraktischer und eher cholerischer Mann, kniet vor einem Hering in der Rosenrabatte und schaut zu, wie das Badmintonnetz kurz in einem frechen Herbstlüftchen taumelt und dann unspektakulär und geräuschlos in sich zusammenfällt. Gubler schlägt mit dem Heringshammer wütend auf ein Stöcklein ›Herzogin von Orléans‹ ein, fängt sich aber sofort, als er hinter sich Barbaras glockenreines Lachen hört. »Jetzt hättest du dein Gesicht sehen sollen, Schatz«, strahlt sie, und Gubler rappelt sich hoch und gluckst übermütig mit. Quality Time.
In Gublers Firma hat man auf der Führungsebene vor kurzem Quality Time eingeführt. Nicht als Obligatorium, nur als Anregung. In einer Zeit wie dieser, in der der Manager doppelt gefordert ist, kann er nicht einfach doppelt so viel Ferien nehmen. Aber mehr Quality Time. Zeit ist nämlich, wie alles andere auch, in verschiedenen Qualitäten erhältlich. Und deshalb ist Erholungszeit, wie alles andere auch, nicht in erster Linie ein quantitatives, sondern ein qualitatives Problem. Quality Time hat einen hohen Erholungswert, deshalb braucht man weniger davon. Zum Beispiel genügt schon ein Tag mit der Familie. Rumtoben, Spielen, Aufeinandereingehen, wieder Kind sein. Einmal eine Wurst braten, einfach so, verdammt noch mal. Oder Badminton spielen. Herrgott, warum nicht einmal GEMEINSAM BADMINTON SPIELEN! IM GARTEN!
Als Barbara und Heinz Gubler das Badmintonnetz aufgespannt haben, setzt ein feiner Nieselregen ein. »Uhu! Jessy, Chris! Beeilt euch, bevor es zu regnen beginnt!«, ruft Barbara mit einem Seitenblick auf Heinz’ entschlossene Miene. Als die Kinder endlich in schlampiger Turnkleidung in der Verandatür stehen, ist der Rasen schon ziemlich glitschig. Gubler, der sich mit Barbara in der Zwischenzeit etwas warmgespielt hat, trägt zwei grünbraune Flecken auf der weißen Tennishose.
»Spinnt ihr, im Regen Federball spielen?«, ruft Chris.
»Badminton!«, bellt Gubler.
»Spinnt ihr, im Regen Badminton spielen?«, ruft Jessy.
»Quality Time!«, brüllt Gubler. »Ihr spielt jetzt, oder ich polier’ euch die Fresse!«
Pädagoge Schnüriger
Wenn man Alec Schnüriger (6) fragt, was er werden wolle, sagt er wie aus der Pistole geschossen: »General Manager.« Dann lacht Gustav Schnüriger (42, General Manager) stolz, und die, die gefragt haben, lachen mit. Carla Schnüriger schüttelt den Kopf, und Jeno Schnüriger (4) fragt: »Was ist General Manager?«
»Der Höchste«, antwortet dann jeweils Alec, und die Erwachsenen lachen wieder.
Gustav Schnüriger ist ein vielbeschäftigter Mann. Kaum ein Abend, an dem er zum Nachtessen zu Hause ist. Und wenn, dann meistens mit Geschäftsgästen. Kaum ein Wochenende, an dem er nicht entweder unterwegs oder im Büro oder todmüde ist. Er hat also nicht viel Zeit für die Kinder, aber die Zeit, die er ihnen widmet, ist von hoher Quality.
Zum Beispiel nimmt er sie manchmal an Wochenenden mit ins Büro. Wie viele Väter tun das? Wie viele Kinder besitzen schon im zarten Alter von vier und sechs eine präzise Vorstellung von dem, was der Vater macht, wenn er nicht zu Hause ist?
Jeno, der Jüngere, interessiert sich mehr für das Handfeste: den Wagenpark, die
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