Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
zusammenstellen, digitalisieren und als mp3s formatieren.
Aber schon jetzt fühlt sich Alemann wie neugeboren.
Kopf frei
Erler ist am Anschlag. Seit drei, nein, vier oder sogar fünf Jahren keine Ferien. Oder nicht das, was er unter Ferien versteht: das totale Abschalten, ohne in der Nacht aufzuschrecken, weil er denkt, er habe den Wecker überhört. Ohne – aber wirklich nur im äußersten Notfall – auf dem Handy erreichbar zu sein und dann selber zweimal am Tag im Büro anzurufen. Und ohne drei Tage früher abzureisen, nachdem er schon drei Tage später angereist war.
Erler kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal nichts getan hat. Einfach da gewesen war und sich hatte treiben lassen. Nicht getrieben wurde, bestimmt von einer Agenda, über die er längst die Hoheit verloren hat. Hier ein Meeting abkürzen, weil das nächste schon begonnen haben müsste. Dort einen halbstündigen Termin in die Viertelstunde quetschen, die eigentlich zur Vorbereitung des nächsten reserviert war.
Nicht einmal an einen Abend kann er sich erinnern, an dem er nicht entweder geschäftlich engagiert oder privat verspätet war. Von Wochenenden, in die er keine Arbeit mitgenommen hat, ganz zu schweigen.
Ein paar Jahre kann das einer vielleicht durchstehen. Und einer wie Erler vielleicht noch ein paar Jahre mehr. Aber irgendwann ist Schluss. Und irgendwann ist jetzt.
Erler wird ab sofort joggen. Einfach, um den Kopf frei zu bekommen. Hat er irgendwo gelesen. Es geht darum, den Körper so zu fordern, dass er die ganze Aufmerksamkeit seines Besitzers in Anspruch nimmt. Nur noch das Rasen des Pulses, das Pumpen der Lunge und das Übersäuern der Oberschenkel. Da ist kein Raum mehr im Kopf für Quartalsabschlüsse und Marketingplattformen, nur noch für Anfeuerungsrufe und Durchhalteparolen.
Am ersten Joggingtag klingelt der Wecker um fünf, anders ist diese zusätzliche Belastung seiner Agenda nicht zu verkraften. Seine Frau murmelt etwas, das wie »endgültig übergeschnappt?« klingt. Erler trinkt ein isotonisches Getränk und verlässt das Haus. Bereits im Garten schlägt er einen lockeren Laufschritt an.
Schon auf der Höhe der Garageneinfahrt von Grütners machen sich die ersten Symptome der Fokussierung auf das Körperliche bemerkbar. Nach fünfhundert Metern beschließt sein Körper, den Parcours abzukürzen. Wenig später schleppt sich Erler wie ausgekotzt die Stufen zum Hauseingang hinauf.
Und tatsächlich, als er, schwer auf das Waschbecken aufgestützt, vor dem Badezimmerspiegel langsam wieder zu Atem kommt, stellt sich das ersehnte Gefühl ein: Der Kopf ist frei. Kein Termin, keine Pendenz, keine Überfälligkeit, nichts.
Aber was stattdessen?
Erler beschließt, mit Joggen aufzuhören.
Ein philosophischer Showdown
Donnerstagabend in den Fitness-Facilities für obere Kader. Auf den beiden Laufbändern legen Effringer und Schatzmann ihre zwei Kilometer zurück. Aus den Lautsprechern rieselt Meditationsmusik.
»Wie im richtigen Leben«, sagt Effringer unvermittelt.
Schatzmann braucht einen Moment, um zu realisieren, dass Effringer mit ihm redet. Sie haben sich normalerweise nicht viel zu sagen. »Bitte?«
»Wie im richtigen Leben: Man marschiert und marschiert und kommt nicht von der Stelle.«
»Ach so, ja, das. Geht es Ihnen auch manchmal so?«
»In letzter Zeit immer öfter. Kaum hat man das Problem hinter sich gelassen, taucht es wieder vor einem auf. Wie dieser Fleck auf dem Rollband.«
Schatzmann versucht hinüberzuschauen, ohne aus dem Tritt zu kommen. Effringer deutet auf etwas vor seinen Füßen und sagt: »Da! Und weg! Und da! Und weg! Und da! Und weg! Und da!«
»Ich sehe, was Sie meinen. Schönes Bild. Kaum weg und schon wieder da.« Schatzmann sieht jetzt auch auf seinem Band einen Fleck, der kommt und geht, kommt und geht.
Beide traben weiter, jeder in das stete Kommen und Gehen seines Flecks vertieft.
Effringer ist es, der den Faden wieder aufnimmt. »Vielleicht«, sinniert er, »vielleicht ist das der Sinn des Ganzen: uns auf Trab zu halten, damit wir nicht zum Nachdenken kommen über den Sinn des Ganzen. Das Problem ist die Lösung.«
»Der Weg ist das Ziel«, ergänzt Schatzmann, um auch etwas Tiefschürfendes zu sagen.
»Sagt der Goldhamster im Rad«, versetzt Effringer mit einem bitteren Lachen.
Schatzmann ist sich nicht sicher, ob die Bemerkung auf ihn gemünzt ist. Schweigend traben sie weiter.
Jetzt beschleunigen die Programme die beiden Laufbänder zu einem
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