Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
November erfuhr er, dass sie in einem Kurhotel gebucht hatten. »Thermen, Massagen, Aromakuren, Work-out.« Diät erwähnte sie nicht.
Erst als sie zwei Tage vor Weihnachten ihr Zimmer beziehen und Nyffeler einen Welcome Drink in der Bar vorschlägt, sagt Kathrin: »Welcome Drinks kommen in deinem Diätplan nicht vor.«
Diät ist kein neuer Begriff in ihrer langjährigen Beziehung. Nyffeler hatte mit drei Kilo Übergewicht im Hafen der Ehe angelegt und daraus im Laufe der letzten einundzwanzig Jahre knapp dreißig gemacht. Dass die wegmüssen, ist eine Pendenz. Aber eine mittelfristige.
Er setzt den Welcome Drink durch, allerdings um den Preis des Versprechens, es ab morgen mit der Diät zu versuchen.
Kurz nach dem Frühstück – ein Apfel, eine Orange und so viel Pfefferminztee, wie er Lust hat – ist er bereit, das Handtuch zu werfen. Und hätte es auch getan, wenn er nicht mitten in einer irisch-römischen Bürstenmassage gewesen wäre – ganz ohne Handtuch. Den Rest des Vormittags verbringt er unter dem kritischen Blick einer gutaussehenden Trainerin an verschiedenen anstrengenden Geräten. Das Mittagessen – Gemüsesalat mit Magerquarksauce und zwei Scheiben Sesamknäckebrot – genießt er unter Kathrins Aufsicht. Die anschließenden zwei Stunden Schönheitsschlaf ebenfalls. Sie weckt ihn gerade rechtzeitig für die Atemtherapie. Als er später auf dem Weg zur Lymphdrainage am Hotelkiosk eine Partypackung Chips kaufen will, ist dieser geschlossen.
Aber nach dem Abendessen – Tofuburger und seine gemischten Sprossen – steht er nackt vor dem Badezimmerspiegel und stellt fest: Er wirkt gestrafft. Vielleicht nicht für den Außenstehenden, aber für den Eingeweihten eindeutig.
So motiviert, quält er sich durch die entbehrungsreichsten Festtage seines Lebens. Er planscht im Thermalbad, kneippt, dampfbadet, sprudelbadet, wird gepeelt, unterwassermassiert, schlammgebadet und verbringt vormittags und nachmittags je eine Stunde im Kraftraum. Er schlemmt an Weihnachten eine Forelle blau und stößt aufs neue Jahr mit Sauerkrautsaft an.
Aber es lohnt sich. Wieder zu Hause, fühlt er sich wie neugeboren. Die Waage zeigt fünf Kilo dreihundert weniger an. Sichtbare, wie er am ersten Arbeitstag den verstohlenen Blicken von Altmann und Casutt entnimmt, die ihm im Lift begegnen.
»Das neue Jahr beginnt, wie das alte aufgehört hat«, bemerkt Altmann zu Casutt, als sie im Vierten ausgestiegen sind, »mit Nyffelers gleicher feister Visage.«
Das Symptom
Rubli ist kein Hypochonder. Er beschränkt seine Arztbesuche auf den Zweijahres-Check. Immer alles tipptopp, Cholesterin manchmal etwas an der oberen Grenze, aber das gute Cholesterin, wie heißt es doch gleich.
Dabei läuft Rubli nonstop in dem, was bei anderen der rote Bereich wäre. Nicht, dass er das braucht, er ist kein Workaholic, aber es macht ihm nichts aus, und der Job erfordert es nun mal. Wenn alle das liefern würden, was der Job erfordert, dann sähe die Wirtschaftslage anders aus, das nur nebenbei.
Aber in letzter Zeit, genau genommen seit letzten Mittwoch, dreiundzwanzig Uhr fünfundvierzig, hat Rubli Symptome. Besser gesagt: ein Symptom. Eines, das er noch nie gehabt hat, von dem er aber weiß, dass es existiert und dass es mit Stress zu tun hat. Haben kann. Nicht muss, es soll auch andere Ursachen geben, aber die häufigste sei nun einmal good old stress.
Um welches Symptom es sich genau handelt, tut hier nichts zur Sache, die Tatsache, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein stressbedingtes ist, muss genügen. Rubli wird es zu gegebener Zeit mit seinem Vertrauensarzt besprechen, nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Ursache nicht im Stress zu suchen ist, das heißt, falls es ihm nicht gelingen sollte, das Symptom durch Stressabbau zu beseitigen.
Was ihn nicht überraschen würde, denn wie kann man etwas abbauen, was subjektiv gar nicht vorhanden ist? Rubli arbeitet einfach mehr als andere, kommt früher, geht später, isst schneller, schläft weniger, aber Stress? Davon hat er bis heute, also bis letzten Mittwoch, noch nie etwas gemerkt. Aber vielleicht fehlt ihm das Sensorium dafür. Vielleicht hat Rublis Körper etwas gemerkt, was Rubli selbst noch nicht aufgefallen ist. Und der Körper teilt es ihm jetzt mit.
Nur: Dass er sich dazu ausgerechnet dieses Mediums bedienen muss, empfindet er schon als störend. Wobei – besser als Herzinfarkt, es beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit nicht, zumindest nicht die berufliche,
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