Abschalten: Die Business Class macht Ferien (German Edition)
da. Das heißt, gesehen hat ihn noch niemand, aber laut Absenzenplan ist Schwegler wieder da. Sein BMW steht in der Tiefgarage, und seine nicht Sekretärin, sondern persönliche Assistentin hat gemeldet, dass schon, als sie am Morgen kam, sein Aschenbecher voll war, sechs halbleere Styroporbecher Kaffee herumstanden und sein leichter Baumwollkittel über der Lehne des Besucherstuhls hing. Wahrscheinlich hat er schon einen Sechsstünder hingelegt vor dem Frühstück. Typisch Schwegler.
Jetzt ist er sicher irgendwo im Haus und lässt sich updaten, entschlossen, noch vor Mittag die zwei Wochen Ferien ungeschehen zu machen. Schwegler, der kapitale Achtzigstünder, ist wieder im Revier.
Kurz nach zehn hält ein Taxi hinter dem Haus. Schwegler, ausgeschlafen, gebräunt und ohne Kittel, betritt die Firma durch das Postbüro, in eine mitgebrachte Aktennotiz vertieft. Er steigt elastisch die menschenleere Treppe hinauf zum ersten Stock und wartet dort, konzentriert lesend, auf den Lift. So wird er von Frau Went, die sich mit dem neuen Mitarbeiter Weber auf einem Rundgang befindet, gesehen.
»Direktor Schwegler. Achtzigstundenwoche«, flüstert sie, und dem Neuen wird etwas unbehaglich.
Im Vierten steigt eine Mitarbeiterin zu, grüßt erschrocken und drückt verlegen auf »5. Stock, Rechnungswesen und Finanz«. Ein Stockwerk nur. Schwegler schaut irritiert von seiner Lektüre auf. 22 seiner Sekunden à Fr. 11.– ist sie seinem vorwurfsvollen Schweigen ausgeliefert.
Im Vorzimmer begrüßt ihn die persönliche Assistentin. »Schön, dass Sie wieder da sind, wie waren die Ferien?«
»Die Ferien? Ach so, ja, die Ferien, doch, doch.« Dann zieht er sich in sein Büro zurück. »Keine Störung bis Mittag.«
Er setzt sich in seinen bequemen Sessel, schließt eine Schublade auf und nimmt die Zeitschrift heraus, in der er gestern las, nachdem er sich, wie jeden Sonntag, von der Familie abgesetzt hatte, um im Büro Spuren für den Montagmorgen zu legen: Zigarettenstummel, Kaffeebecher, Kittel über die Stuhllehne, Auto in die Tiefgarage.
Um elf konsultiert er sein TimeSystem, Kapitel »Lokale«, und entscheidet sich (nach zwei Wochen Meerfrüchten) für eine Landbeiz mit Schweizer Butterküche und einem unverkrampften Verhältnis zu Innereien. Er lässt sich »einen ruhigen Zweiertisch für einen Arbeitslunch« reservieren und beginnt mit der Evaluation seines Lunchpartners.
Um halb drei meldet er sich vom Parkplatz aus über sein Natel »aus einem Stau« und geht in die Landbeiz zurück. Um vier ist er wieder im Büro und beraumt eine Sitzung auf sechs an. Die Zeit bis dahin arbeitet er an seinem Arbeitsrapport.
Die Sitzung leitet er mit routiniert vorgetäuschter Effizienz und hebt sie kurz nach halb acht mit dem Hinweis auf, dass er noch zu tun habe. Er wartet die Putzequipe ab und legt dann die Spuren für den nächsten Morgen: Zigarettenstummel, fünf halbleere Kaffeebecher. Dann geht er den Kittel für den nächsten Tag aus dem Kofferraum holen und hängt ihn über die Lehne des Besucherstuhls.
Bevor er ins Taxi steigt, wirft Schwegler einen letzten Blick zum Bürohaus hinauf. Alles dunkel. Nur bei Schwegler brennt natürlich noch Licht.
Braucht es Häfliger?
Nach diesem großen Sommer voll mediterraner Heiterkeit und positiver Wirtschaftssignale kriecht jetzt an manchen Morgen schon die bittere Kühle des Herbstes über die Firmenparkplätze, unter die Burberrys und in die Herzen der Führungselite. Der erste Oktober naht und mit ihm der graue Ernst des letzten Quartals mit seiner bedrückenden Endgültigkeit. Saison der letzten Fragen.
An einem solchen ahnungsvollen Morgen kommt Häfliger etwas später ins Büro. Eine Frivolität, die ihm im Laufe des schwülen Sommers öfter unterlaufen ist, die ihm jetzt aber im sachlichen Licht des frühen Herbstes deplatziert vorkommt. Es ist schon fast neun Uhr, als er sein Vorzimmer betritt, und er macht sich ein wenig Vorwürfe. Denn wer sonst soll ihm Vorwürfe machen, er ist der Boss.
Frau Schäppi lässt sich nichts anmerken. Sie schaut kurz auf und wünscht ihm einen guten Morgen. Ohne Ironie, soweit Häfliger das beurteilen kann.
Er geht in sein Büro, hängt seinen Regenmantel in den Schrank, setzt sich an sein Pult und wartet. Ein paar Minuten später kommt Frau Schäppi mit Häfligers Kaffee und Agenda.
»Herr Bitterli hat Dr. Wullschlegel genommen. Sie sind in Sitzung eins.«
Wullschlegel! Den hat Häfliger vergessen. Er tut so, als ob er ohnehin geplant
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