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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
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darstellte. Man konnte sogar die Fingernägel in die schmale Kerbe haken, und als Rowena zog, klappte die Holzverkleidung beiseite und gab den Blick frei auf ein Geheimfach, zirka einen Meter breit und eine Handbreit tief. Darin stand, gegen die massive Wand gelehnt, ein zusammengefaltetes, dreibeiniges Stativ. Auf dem Fußboden daneben ruhte die Videokamera, die zu der Schachtel passte, welche Rowena auf dem Dachboden gefunden hatte, sowie eine kleine Zeitschaltuhr. Und neben dieser lag eine VHS-Videokassette.

17. KAPITEL
    D ie Kamera erwies sich als verblüffend leicht und kompakt und kam Rowena so fremdartig vor wie eine Laserkanone oder ein in Sanskrit verfasstes Buch. Während sie das Gerät untersuchte, wanderte ihr Blick zu der Kassette.
Lass es!
mahnte ihr Hirn. Nicht mal dran denken darfst du! Wirf das Ding sofort in den Müll! Was auf dem Video ist, das willst du doch gar nicht wissen!
    Das Problem war nur, dass sie es sehr wohl wissen wollte. Die Kassette zog sie magisch an, wenngleich eine warnende Stimme laut in ihrem Kopf erklang und ihr prophezeite, auf dem Band sei ohnedies wieder nur Claudia zu sehen, die sich, verdreht wie ein Schlangenmensch, in abstrus grotesken Posen penetrieren ließ. Sie hatte so gut wie alles mit sich machen lassen, und die dabei zur Schau gestellte Gefühllosigkeit erschien Rowena noch bestürzender als die Tatsache, dass die Schwester ihren Körper so vielen Männern einfach hingegeben hatte. Die heftigste Reaktion überhaupt auf einem der Bänder offenbarte Claudias Gesicht als unverhüllt schmerzverzerrte Fratze, und zwar in einer Szene, bei der sie von einem ihrer Partner mit derart brutal-ekstatischer Inbrunst von hinten genommen wurde, dass sie wohl zusammengebrochen wäre, hätte der Mann sie nicht grob bei den schmalen Hüften gepackt. Obwohl zutiefst aufgewühlt, hatte Rowena der Widerwärtigkeit wie gebannt zugesehen, hatte begreifen wollen, warum ihre Schwester sich ohne Not und zudem so häufig diesen Entwürdigungen ausgesetzt hatte, diesen barbarischen Attacken auf ihren zarten, zerbrechlichen Körper. Bisher allerdings hatte Rowena nur eins erfahren: dass die Menschen, wenn es um Lustgewinn ging, eine abartige Findigkeit und Brutalität an den Tag legten.
    Sie stellte die Kamera beiseite, hob die Videokassette auf und hastete damit die Treppe hinunter, um das Ding draußen in die Mülltonne zu werfen. Das letzte Band – nur weg damit! Dann war sie Claudias Videotrophäen endgültig los! Doch schon unten im Flur fühlte sie, wie ihre Schritte langsamer wurden, wie sie schließlich stehen blieb. Sollte sie es nicht doch rasch in den Rekorder schieben? Nur einen kurzen Blick darauf werfen, im schnellen Vorlauf durch die aneinander gereihte Sexakrobatik spulen? Wahrscheinlich war doch nichts Neues darauf zu sehen! Alles schon da gewesen!
    Mach dir doch nichts vor!
Was immer sie auch zu sehen bekäme, würde sie doch nur wieder aus der Fassung bringen. Schon fühlte sie sich unruhig, und die gute Laune war dahin. Sie machte einen Schritt auf die Küche zu und verharrte eine ganze Weile, da sie weder in der Lage war, das Band fortzuwerfen, noch dazu bereit schien, es sich anzusehen. Schließlich legte sie es auf den Fußboden und ging langsam in die Küche, wo sie sich am Tisch niederließ und eine Zigarette anzündete. Hin und wieder wandte sie sich um, blickte durch den Korridor und sah das Band, das sich keineswegs auf wundersame Weise in Luft aufgelöst hatte.
    Nach der zweiten Zigarette stand sie auf, trat ans Fenster und starrte durch den strömenden Regen hinaus in den Garten. Dank ihrer Mühen hoben die Blumenbeete sich nun mit akkurat gezogener Kante von dem dichten, sorgsam getrimmten Rasen ab. Verengte Rowena die Augen ein wenig, dann war ihr, als erblicke sie dort draußen sogar ihren Vater, wie er, auf die Knie gestützt und mit einem alten, verbeulten Panamahut zum Schutz gegen die sengende Sommersonne auf dem Kopf, das Unkraut jätete und sich hin und wieder zurücklehnte, um die üppigen grün-weißen Blütenstände der Hortensien zu bewundern. Gemeinsam mit Cary saß sie auf der Schaukel und sah, wie ihr Vater den Kopf hob. Claudia wirbelte über das Gras wie ein winziger menschlicher Kreisel; sie lachte aus vollem Hals, breitete die Arme aus und drehte sich in einem fort um die eigene Achse. George Graham beobachtete seine Jüngste mit einem Ausdruck wehmütiger Resignation, während sie, schwindlig vom Drehen, in die nächstgelegene Rabatte

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