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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
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Gefühl. Ich möchte nichts für Sie empfinden!” Sie stand schon fast, überzeugt, dass sie so etwas wie Selbstmord begangen hatte.
    „Augenblick noch! Woher wollen Sie wissen, dass ich mehr möchte als Freundschaft?”
    Sie lachte. „Bitte, beleidigen Sie nicht meine Intelligenz!”
    „Sie haben Recht. Das war ein abgedroschener Selbstverteidigungsversuch. Da sind meine Befürchtungen mit mir durchgegangen. Aber wieso nehmen Sie an, nur Sie seien betroffen? Warum glauben Sie, Sie allein führten diesen Hochseilakt durch?” Er sprach gelassen, nicht im Geringsten aggressiv. „Jemanden zu umwerben, und sei es noch so unaufdringlich, kann ziemlich ermüdend wirken, wenn man nie oder nur wenig ermutigt wird. Ehrlich gesagt, ich finde es ganz schön erniedrigend. Auch mir geht es so, dass mich bisher niemand derart angezogen hat wie Sie, und diese Beichte macht mir genauso viel Angst wie Ihnen. Sein Innerstes so offen zu legen birgt Risiken. Was meinen Erfahrungshorizont angeht: Der ist wahrscheinlich nur unerheblich weniger begrenzt als Ihrer. Doch das nur nebenbei. Wollen Sie, dass ich kapituliere, Rowena?”
    Seine Frage und auch seine Miene, aus der unverkennbarer Schmerz sprach, veranlassten sie dazu, etwas Tröstliches sagen. „Es liegt mir fern, jemanden zu verletzten”, gab sie zurück. „Ich möchte nur nicht verletzt werden.”
    „Niemand möchte das”, versicherte er sachlich. „Wenn wir uns aber von Angst leiten lassen, ist unser Leben nur die Hälfte wert, und das möchte ich nicht. Mag sein, dass es Ihnen zu schnell geht. Immerhin trauern Sie noch, und für Trauerarbeit gibt es keine festgelegten Fristen.”
    „Sonderbar”, sagte sie und griff diese Anmerkung dankbar auf. „Mitunter vermisse ich sie, und zwar ungefähr so, wie wenn man merkt, dass Tabletten endlich anschlagen und der Kopfschmerz abgeklungen ist. Dann wieder fehlt mir das Melodramatische an ihr, so als habe jemand meine Lieblingssendung im Fernsehen abgesetzt. Und dann wiederum vermisse ich Claudia einfach nur und kann es noch immer nicht fassen, dass sie endgültig nicht mehr da ist. Ich habe meine Schwester geliebt, Reid. Möglich, dass es lediglich eine tief verwurzelte Gewohnheit oder ein antrainierter Reflex war. Wer weiß? Trotz allem hat Claudia in mir Zuneigung hervorgerufen. Ich habe sie wirklich geliebt, und ich weiß nicht, warum sie gestorben ist. Sie könnten also Recht haben mit der Vermutung, dass es mir zu schnell geht. Vielleicht bin ich auch der geborene Hasenfuß, der eben nur ein Leben lebt, das die Hälfte wert ist. Jetzt muss ich aber wirklich wieder hinein.”
    „Nur noch eine Minute, ja?” Er hielt sie am Handgelenk fest.
    Sie blieb sitzen und dachte, wie dünn ihr Arm in seiner Hand wirkte, die groß, aber sanft war. Rowena fühlte sich an Kips vorsichtige Umarmung erinnert.
    „Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Soll ich aufgeben und Sie in Ruhe lassen? Es ist Ihre Entscheidung. Sagen Sie Ja, sind Sie mich los. So einfach ist das.”
    „Ich weiß es doch nicht!” Der Druck, antworten zu müssen, wurde ihr fast zu viel. Ohne Reid anzusehen, entwand sie sich seinem Griff und flüchtete ins Lokalinnere, hatte aber nur wenige Schritte getan, als die altbekannte Melancholie sie erneut überfiel. An der Bar blieb Rowena stehen, haderte mit sich und ihrem kindischen Verhalten. Konnte sie tatsächlich damit zufrieden sein, dass ihr Leben, wie Reid es genannt hat, lediglich die Hälfte wert war? Vielleicht wollte er sie bloß ködern? Einen Mann, der seine eigene Unsicherheit zugab, traf man wahrlich nicht alle Tage. Oder stellte er sich nur außergewöhnlich geschickt an? Sie schloss die Augen, und wieder überkam sie jene unerklärliche Sehnsucht danach, ihn zu berühren, sich selbst damit zu beweisen, dass er aus Fleisch und Blut war, nicht etwa ein zu groß geratenes Produkt ihrer Fieberfantasien. Nach einigen Sekunden schlug sie die Augen wieder auf und ging zurück.
    Nach wie vor saß er da, den Blick ins Leere gerichtet. Er löst sehr ausgeprägte Gefühle in dir aus, dachte sie, allerdings nur zu unbestimmten Zeiten und normalerweise aus der Distanz. In diesem Moment, das wusste sie, fühlte er sich gekränkt und einsam, und sie trug ein gerüttelt Maß Schuld daran. Auch er legte eine solche Empfindsamkeit an den Tag, dass es Rowena, ähnlich wie zuvor bei Kip, besorgte und überraschte. Am liebsten hätte sie sich hinter ihn gestellt, hätte mit den Händen sein Gesicht ertastet, so wie es

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