Abschied aus deinem Schatten
kühler Luft, die gleich hinter der Tür aufragte und sie merklich belebte. Mit der Sonnenbrille in der Hand ging sie direkt auf das Büro zu. Unterwegs grüßte sie die Mitarbeiter sowie Ian, der hinter der Bar mit Terry eine Rechnung überprüfte. Im Büro ließ sie sich hinter dem Schreibtisch nieder, verstaute die Handtasche in der untersten Schublade und zündete sich eine Zigarette an, die erste an diesem Tag. Sie schmeckte so abscheulich, dass Rowena schlagartig erneut übel wurde und sie die Zigarette sofort wieder ausdrückte. In dem Moment trat Ian ein.
„Ich habe mir überlegt”, erklärte sie, „dass wir uns die Rufnummernüberprüfung einrichten lassen sollten. Hätten Sie etwas dagegen?”
„Das käme uns hinsichtlich der Reservierungen entgegen, weil wir so gleich die Nummer aufschreiben könnten. Also – nein, keine Einwände. Ich halte es sogar für eine ziemlich gute Idee.”
„Dachte ich auch. Ach, übrigens, was ich Sie immer schon fragen wollte – wo werden denn die Telefonrechnungen des Restaurants aufbewahrt?”
„Im Lager unten im Keller. Bei den übrigen Rechnungen. Wieso?”
„Ich möchte etwas überprüfen.” Sie versuchte, möglichst gelassen zu klingen.
„Kann ich Ihnen dabei helfen?”
Rowena sah zu, wie er sich geschmeidig auf den Stuhl gleiten ließ, der vor dem Schreibtisch stand, und sich eine Silk Cut anzündete. Hätte sie nur besser seine Miene lesen können! „Vielleicht”, gab sie zurück. „Laut Tony Reid soll es im letzten Herbst eine Phase gegeben haben, in der er dutzende Male am Tag von Claudia angerufen worden sein soll. Ich habe das kontrolliert; ihre Rechnungen weisen zwar einige, jedoch nicht gleich dutzende von Anrufen auf, wie Reid behauptet. Deshalb dachte ich …”
„Sie rief ihn von hier aus an”, bemerkte er. Rowena war unschlüssig, ob sein Gesicht Abneigung oder Verärgerung ausdrückte. „Und übertrieben hat er beileibe nicht. Alle paar Minuten verließ sie die Rezeption und lief hier ins Büro, um zu telefonieren. Wenn überhaupt, dann dürfte Reid wohl eher untertrieben haben. Offen gesagt ist mir schleierhaft, wieso er sich das gefallen ließ. Oder, besser gesagt, seine Sekretärin. Ich konnte mithören, wie Claudia alle Nase lang Nachrichten bei ihr hinterließ.”
Rowena war sich jetzt sicher, dass sich sowohl Abscheu als auch Groll in seiner Miene spiegelten. Mit schmalen Lippen hatte er die Bemerkungen ausgestoßen, so als habe er in etwas Ranziges gebissen und als hinderten ihn nur seine guten Manieren daran, den Bissen auszuspucken.
„Sie hat ihm also wirklich zugesetzt.”
„Und wie! Die monatlichen Telefongebühren schossen drastisch in die Höhe. Der Buchhalter geriet ziemlich aus der Fassung, gelinde gesagt.”
„Und wie lange ging das so?”
Konzentriert starrte Ian auf die Asche, die er sorgsam von der Zigarettenspitze schnippte. „Vielleicht zwei Monate. Genau weiß ich es nicht mehr.” Er hob fragend den Blick. „Ist das wichtig?”
„Ich weiß es nicht. Es wollte mir nur nicht recht in den Kopf.”
„Tja.” Er nahm einen tiefen Zug und blies dann eine Rauchwolke zur Decke. „Meinen Sie, uns wäre es anders ergangen?” fragte er spöttisch. „Entsetzlich, diese dauernden Unterbrechungen! Man konnte sich nie darauf verlassen, dass sie den Empfang betreute, und ihr Umgang mit dem Personal und den Gästen ließ sehr zu wünschen übrig.” Er zuckte mit den Achseln und zog an seiner Zigarette. „Die Rechnungen sind leicht zu finden, wenn es Ihnen nichts ausmacht, sich ein wenig die Hände zu beschmutzen. Hören Sie, Rowena, ich weiß, es geht mich eigentlich nichts an, aber wieso verbohren Sie sich so in die Sache? Wozu das Ganze, wenn man fragen darf?”
„Weil”, sagte sie vorsichtig, „mir noch einige Antworten auf ein paar Fragen fehlen.”
„Und die wären?”
„Wie und warum meine Schwester starb.”
„Aha.” Er nickte und lehnte sich zurück, die Hände unter der Nase gefaltet. Der Zigarettenqualm zog ihm direkt in die Augen. „Darf ich offen sprechen?”
„Bitte.”
Ian legte die Hände auf die Armlehne des Stuhls. „In den vergangenen ein, zwei Jahren stieß Claudia eine Menge Leute durch ihr Verhalten vor den Kopf, wodurch sogar dem Restaurant Verluste entstanden. Alles weiß Gott unangenehm genug, doch eins seht fest: Sie ist tot und die Sache damit erledigt. Sie, Rowena, leisten großartige Arbeit; das Geschäft läuft so gut wie nie. Könnten Sie da Ihre Fragen nicht zu
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