Abschied aus deinem Schatten
folgenden Tag durchschlafen zu können. Doch schon tastete ihre Hand sich wie von selbst zur Nachttischschublade und öffnete sie. Die Finger umschlossen die Videokassette. Rowena schwang sich aus dem Bett, eilte ins Ankleidezimmer, zog sich ein T-Shirt sowie einen ihrer ausgeblichenen Baumwollpullover an und dazu die abgewetzten weißen Mokassins, bei denen sich allmählich der Strassbesatz ablöste.
Nachdem sie Teewasser aufgesetzt hatte, reinigte sie den Küchenfußboden mit einem feuchten Aufnehmer, wischte auch die Arbeitsplatten ab und beseitigte so jegliche Spuren ihrer Ausschweifungen vom Abend zuvor. Danach las sie die
Times
, trank dazu eine Tasse starken Tee mit Milch und Zucker und rauchte mehrere Zigaretten. Zwischendurch schreckte sie immer wieder auf, als das Telefon klingelte, und hörte bewegungslos zu, wie der Anrufbeantworter sich einschaltete. Morgen, so ging es ihr durch den Kopf, ist Schluss mit dieser Quälerei. Denn dann wird endlich die Rufnummernüberprüfung installiert.
„Nun geh schon ran, Ro”, sagte Marks Stimme. „Ich weiß, dass du da bist. Der Benz steht in der Einfahrt. Nun melde dich, mach schon, sei artig!”
Erleichtert nahm sie den Hörer ab.
„Was soll die Heimlichtuerei, mein kleiner Schatz?”
„Ich bin völlig erledigt und zu Gesprächen nicht aufgelegt.”
„Ich hoffe, du meinst damit nicht
moi
!”
„Aber nein,
toi
doch nicht, mein Liebling!”
„Ach, wie gut das meinem armen, mitgenommenen Ego tut! Und? Keine Lust zum Chinesen heute Abend? Oder vielleicht ins Kino?”
„Heute nicht. Heute könnte von mir aus der Rauchmelder losschrillen, und trotzdem müsste ich wahrscheinlich einige Zeit überlegen, ob ich die Flucht ergreifen soll oder nicht!”
„Na schön! Reserveplan Nummer eins: Ich hole uns was vom Chinesen, und wir essen daheim. Wie klingt das? Außerdem möchte ich dich auf den neuesten Stand bringen.”
„Chinesisch habe ich schon seit Urzeiten nicht mehr gegessen. Mushu-Schweinefleisch wäre nicht übel. Und vielleicht gibt’s was Ordentliches in der Flimmerkiste, was wir uns ansehen könnten.”
„Fehlanzeige, hab schon nachgesehen! Kommt nur Käse. Ist noch was von deinem Jasmintee übrig?”
„Na klar! Auf den neuesten Stand bringen? Inwiefern? Und wie lautet Reserveplan Nummer zwei?”
„Pizza holen. Wir essen daheim, und ich setze dich bezüglich einiger Dinge ins Bild.”
„Aha! Nein, dann doch lieber Plan Nummer eins. Was für Dinge denn?”
„Alles weitere später. Bis gleich!” sagte er und legte auf.
Schnell versteckte sie das Videoband im Ankleidezimmer und lief dann wieder nach unten, um sich zu vergewissern, dass im Wohnzimmer alles wie üblich aussah. Gerade deckte sie den Tisch, als das Telefon erneut läutete. Die Zähne fest zusammengebissen, die Hände über den Ohren, summte sie vor sich hin und ließ damit zum ersten Mal seit Jahren wieder das Triebwerk ihres ureigenen Eskapismus aufheulen. Als dann das Blinklicht am Anrufbeantworter aufleuchtete, hörte sie auf zu summen und drehte die Lautstärke des Geräts so weit herunter, dass sie zukünftige Nachrichten nicht mehr mithören musste.
„Ihr seht ein klein wenig mitgenommen aus, Frau Moorhuhn”, bemerkte Mark, während er sich einen weiteren Pfannkuchen rollte. „Was habt Ihr denn bloß angestellt?”
„Ich war gestern zu lange auf und konnte dann nicht einschlafen. Du weißt ja, wie das ist, wenn das Gehirn Überstunden macht.”
„Allerdings weiß ich das. Nur zu gut.”
„Also, was gibt es denn nun Neues?” Sie löffelte sich ein wenig gebackenen Reis auf den Teller, um Marks Vorwürfen, sie äße nicht genug, von vornherein vorzubeugen. Der Magen machte ihr nach wie vor Probleme.
„Tjaaa …”, begann er gedehnt, „das Fräulein Penelope und ich, wir waren heute gemeinsam zum Lunch!”
„Wie bitte?”
„Du hast richtig gehört. Die Einladung kam von ihr. Ich war neugierig, also nahm ich an. Sie war sehr gedrückt und nachdenklich. Komisch, aber zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, der echten Penny gegenüberzusitzen. Sie ist zwar jetzt ziemlich schweigsam und kleinlaut, aber im Grunde eine gute Seele. Sie hat mir von der Karte erzählt, die sie heute Morgen bei dir abgeliefert hat. Hast du angerufen?”
Rowena schüttelte den Kopf.
„Ist dein Bier, sicher. Vielleicht solltest du’s trotzdem tun.”
„Wozu denn?”
„Nun tu doch nicht so begriffsstutzig, Ro! Du solltest sie meiner Meinung nach anrufen, da sie auf alle
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