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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
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mir war. Kannst du das verstehen?”
    „Klar, durchaus. Sie hat’s total vermasselt.” Er nahm einen Aschenbecher von einem benachbarten Tisch und stellte ihn vor Rowena hin. Sie bedankte sich und drückte die Zigarette aus. „Mir geht’s wie dir”, fügte er hinzu. „Und irgendwie werde ich ihr nie wieder hundertprozentig vertrauen können, denn mich hat sie ja auch angeschwindelt. Nur, sie ist eben meine Mutter, nicht wahr?”
    „Das verstehe ich vollkommen.”
    „Danke, dass du nicht versuchst, mich mit allem möglichen Mist abzuspeisen, nach dem Motto, ich wäre zu jung, um das Ganze zu kapieren. Das finde ich echt Spitze von dir.”
    „Ich hätte viel zu große Achtung vor deiner Intelligenz, um dir so etwas zuzumuten, mein Schatz.”
    „Ich vor deiner auch. So lange ich zurückdenken kann, hast du dich ganz prima mir gegenüber verhalten, hast mich immer wie ’nen richtigen Menschen behandelt, nicht wie ’nen doofen kleinen Jungen. Nie hast du mir blöde Fragen zur Schule gestellt oder mir so bescheuerte Binsenweisheiten aufgetischt. Wahrscheinlich wollte ich, dass du dich mit Mom verträgst, damit ich dich nicht verliere.”
    Rowena fuhr ihm sanft über die Wange und schaute ihm tief in die Augen, und plötzlich hatte sie ihn so lieb, dass es ihr die Brust zusammenkrampfte. „Du verlierst mich ja nicht, Kip. Ich werde immer für dich da sein. Immer! Solltest du irgendetwas brauchen, kannst du dich an mich wenden. Das weißt du doch, nicht wahr?”
    „Ja”, sagte er leise.
    Sie zog die Hand zurück. „Und noch eins, mein Junge. Du kannst nichts dafür – auch nicht für das Zerwürfnis zwischen mir und deiner Mom. Was zwischen ihr und mir abläuft oder auch nicht, das hat mit dir nichts zu tun. Wir beide, deine Mom und ich, werden dich weiter gern haben, ob wir nun Freundinnen sind oder nicht. Verstanden?”
    „Verstanden.”
    „Wirklich?”
    „Wirklich.”
    „Gut.” Sie lächelte ihm zu. „Und jetzt muss ich rein. Es sei denn, du möchtest noch etwas loswerden.”
    „Nein. Das war’s wohl, glaube ich.”
    „Denk dran, mein Schatz, was du auch sagst oder tust – an meiner Haltung zu dir ändert das nichts.”
    „Umgekehrt auch nicht”, versicherte er standhaft.
    Sie sahen sich in die Augen. Nach einer Weile ging sie ins Lokal und dort direkt in die Damentoilette, wo sie sich in einer der Kabinen einschloss. Die Hand vor den Mund gepresst, begann sie zu weinen.
    Die Rufnummernüberprüfung erwies sich als Segen. Dass sie an sich reine Selbsttäuschung war, spielte dabei keine Rolle. Jedes Mal, wenn das Telefon läutete und die Nummer des Anrufers auf der Anzeige aufleuchtete, fühlte Rowena sich erheblich weniger den eigenwilligen, zuweilen herzlosen Launen anderer ausgesetzt. Und als dann das System gegen zwei Uhr am selben Nachmittag den Anruf von einer ihr bekannt vorkommenden Teilnehmernummer in Greenwich registrierte, wandte Rowena sich an Ian mit der Bitte, das Gespräch entgegenzunehmen. „Würden Sie Dr. Reid bitte mitteilen, ich sei momentan nicht erreichbar?”
    „Selbstverständlich”, erwiderte er kühl und griff zum Hörer.
    Rowena begab sich auf ihre Runde, besuchte das halbe Dutzend noch besetzter Tische, und als sie wieder zur Bar kam, gab Ian ihr einen zusammengefalteten Zettel. Sie dankte ihm. Er nickte kurz und ging weiter zur Küche. Offensichtlich war er nicht sonderlich erfreut darüber, für sie Anrufer abzuwimmeln. Hoffentlich gingen nicht allzu viele solcher Anrufe ein, denn es lag ihr nichts daran, es sich mit Ian zu verscherzen.
    Auf der Notiz stand „Bitte Dr. Reid anrufen” – vier Worte nur, von denen ihr jedoch bang und wehmütig zu Mute wurde. Reid löste sich bestimmt nicht in Luft auf, nur weil sie es gern so gesehen hätte. Sie warf die Nachricht in den Papierkorb und trat hinaus auf die Terrasse. Draußen in der drückenden Hitze zu sitzen lief nach ihrer Ansicht auf Folter hinaus, doch allem Anschein nach wurde diese Meinung nicht von jedermann geteilt, denn die Hälfte der Tische war nach wie vor besetzt.
    Die Hitze brachte ihr die Novelle
Herz der Finsternis
wieder ins Gedächtnis zurück. Sie rief Ian zu, sie habe schnell etwas zu erledigen, holte ihre Handtasche aus dem Büro und ging die Straße hinauf zum Buchladen, um sich die Novelle zu kaufen, die sie bestimmt an die zwanzig Jahre nicht mehr in der Hand gehalten hatte und die sie jetzt unbedingt wieder einmal lesen wollte.
    Als sie das Geschäft betrat, stieß sie mit einem Mann

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