Abschied aus deinem Schatten
dann ab in die Heia!”
Sie begleitete ihn zur Hintertür, wo er die Tragetasche auf der Arbeitsplatte absetzte und Rowena umarmte. „Mensch, was riechst du toll! Was für ’n Parfüm ist das? Kenn ich ja gar nicht!”
„Tocade”, murmelte sie, den Kopf an seine Brust gelehnt. „Fein, nicht wahr?”
„Köstlich! Bisschen wie Vanilleeis im Hörnchen, mit Rosenblüten drin!”
Sie lachte und gab ihm einen sanften Schubs.
„Schlaf gut, mein Schatz!”
„Ich hab dich sehr lieb, Mark. Ich weiß nicht, was ich ohne dich anfangen würde!”
„Danke gleichfalls. Und nimm es nicht so schwer. Leg dich lieber aufs Ohr. Morgen ist auch noch ein Tag.” Er küsste sie auf die Nasenspitze, schnappte sich die Tüte und verschwand.
Nachdem sie den Tisch abgeräumt und die Wäsche in die Waschmaschine gesteckt hatte, ging sie ins Bett und schlief fast auf der Stelle ein. Als sie vier Stunden später wach wurde und die Toilette aufgesucht hatte, konnte sie nicht wieder einschlafen. Annähernd eine Stunde wälzte sie sich ruhelos von einer Seite auf die andere. Schließlich setzte sie sich auf, holte das Video aus dem Geheimfach und ging nach unten.
Ohne Licht zu machen, ließ sie sich, Zigaretten und Aschenbecher in Reichweite, auf dem Fußboden nieder und schob die Kassette in den Rekorderschacht. In einer Hand die Fernbedienung, in der anderen eine Zigarette, saß sie da und sah sich das Video an, hasste sich selbst und wünschte sich, sie könne Reid genauso verabscheuen. Doch es gelang ihr nicht. Alle negativen Gefühle schlugen auf sie selbst zurück. Denn es war dumm von ihr gewesen, sich falschen Hoffnungen hinzugegeben. Und was Reid anging, wusste sie einfach nicht, was er falsch gemacht hatte. Während das Band zurückspulte, ging sie ins Badezimmer, um sich die Nase zu putzen und sich das Gesicht zu waschen. Irgendetwas an der Videoaufnahme kam ihr nicht ganz geheuer vor.
Vom Sofa aus ließ sie das Band nochmals durchlaufen. Während es zum zweiten Mal zurückspulte, schlief Rowena ein und träumte, sie wäre im Ankleidezimmer und beobachtete von dort ihre Schwester und Reid im Schlafzimmer. Und in kurzen Momenten war sie es, nicht Claudia, die sich nackt über seinen Schoß hinstreckte, die Schenkel gespreizt von seinen großen Händen; und sie war es auch, in die er mit jenem ersten, wuchtigen Stoß eindrang. Dann wieder, zurück im Ankleidezimmer, war sie bloß Zuschauerin, und so wechselte sie hin und her, Zeugin und Handelnde zugleich, die jede Bewegung von außen verfolgte und doch auch jede Empfindung mitfühlte. Nachdem er sie mit grimmiger Miene zu einem konvulsivischen Höhepunkt gebracht hatte, zog er sich so abrupt zurück, dass es schmerzte und wie Sterben war, weil sie sich derart verlassen vorkam.
Verlass mich nicht! Bitte, geh nicht fort!
schrie sie. Der plötzliche Entzug seiner Wärme ließ sie frösteln.
Es ist ein Irrtum! Ein Irrtum!
Doch er zögerte nicht einmal und sah nicht zurück.
Ein dumpfes Klatschen draußen vor der Haustür schreckte sie auf. Rasch war sie auf den Beinen, spähte durch einen Schlitz zwischen den senkrecht stehenden Sichtblenden und sah, wie sich ein Wagen, der langsam beschleunigte, die Straße hinunter entfernte. Ängstlich tappte sie auf Zehenspitzen zur Haustür und öffnete. Draußen auf der Fußmatte lag die
Times
. Zitternd atmete sie aus, hob das Blatt auf und schloss, lautlos über sich selbst lachend, die Tür.
Es war 5:37 in der Frühe. Fast drei Stunden hatte sie auf dem Sofa geschlafen, insgesamt also immerhin sieben Stunden. Froh darüber, einmal bei Tagesanbruch auf zu sein, warf sie die Zeitung auf den Küchentisch und machte sich Frühstück. Die Situation erinnerte sie an die Wochen, in denen Reilly und sein Bautrupp das Haus renoviert hatten. Wenn der Garten bei Sonnenaufgang mehr und mehr Farbe gewann, eine kühle Brise durchs Fenster wehte und einem der schwere Geruch nach feuchtem Lehm in die Nase drang – all das hatte sie gern.
Ehe es Zeit wurde, später am Vormittag zum Restaurant zu fahren, blieb ihr reichlich Zeit, um sich die Kassette noch zwei weitere Male anzuschauen. Dass etwas mit der Aufnahme nicht stimmte, empfand sie als so lästig wie eine juckende Stelle, an der man gern kratzen würde, an die man aber nicht herankommt. Sie vermochte es jedoch nicht genau zu definieren, was sie störte. Also musste sie sich wohl das Band so lange ansehen, bis sie es herausfinden würde. Dies war ein Problem, das nach einer Lösung
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