Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
Vom Netzwerk:
fiel mir nicht ganz leicht. In den Anfangszeiten besaß sie eine gewisse jugendliche Frische, einen absolut unwiderstehlichen Charme. Ich mochte sie, bis ich sie besser kennen lernte. Mittlerweile strenge ich mich gewaltig an, um zu vergessen, dass es sie je gab. Und auf meine typische unbeholfene Art versuche ich, Sie dazu zu bringen, dasselbe zu tun.” Seine Züge und seine Stimme wurden milder. „Um Ihrer selbst willen, meine Liebe – ich wünsche mir wirklich, Sie würden meinem Rat folgen und die Sache auf sich beruhen lassen.”
    „Wieso sagen Sie mir das andauernd?”
    Seufzend fragte er: „Was haben Sie denn davon, wenn Sie in Claudias unappetitlichen Geheimnissen herumwühlen? Überlegen Sie doch nur, wie sehr Ihnen das, was Sie bisher erfahren haben, zu schaffen macht!”
    „Es wird mir erheblich weniger zu schaffen machen, wenn ich sämtliche Antworten auf meine Fragen bekomme!”
    „Das Leben verläuft selten so, wie man es sich vorstellt. Wir können von Glück sagen, Rowena, wenn es uns einige unserer Fragen beantwortet. Und häufig erweisen sich diese Antworten als höchst unerfreulich.”
    „Wohl wahr. Trotzdem muss ich wissen, warum sie bestimmte Dinge tat.”
    „Ach, das wissen Sie doch längst, glaube ich!”
    Tu ich das?
Ein Bild blitzte vor ihrem geistigen Auge auf – ihre Mutter und ihre Schwester in der Küche, Claudia vor Wut völlig außer sich, Jeanne zutiefst verstört. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, dann verschwand das Bild. „Sie irren sich”, widersprach sie. „Das weiß ich nicht.”
    Langsam, Wort für Wort betonend, als wende er sich an jemanden, der etwas begriffsstutzig war, sagte er: „Sie sind eine außergewöhnlich intelligente und sensible Frau. Wenn Sie genau überlegen, werden Sie merken, dass Sie es sehr wohl wissen. Nun aber entschuldigen Sie mich bitte, jetzt mache ich aber wirklich meine Runde.” Damit ging er hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.
    Auf dem Heimweg dachte sie nochmals über das Gespräch nach. Ian hatte die Bänder nie gesehen; jedenfalls behauptete er das, und es bestand kein Anlass, ihm nicht zu glauben. Daraus konnte man zwar schließen, dass er wusste, wie vernarrt Claudia in Reid war, doch dass die zwei ein intimes Verhältnis hatten, ließ sich daraus nicht automatisch ableiten. Diese besondere Eroberung hatte ihm Claudia vielleicht nicht postwendend auf die Nase gebunden.
    Möglicherweise fragte Ian sich nun, warum Reid jetzt Rowena den Hof machte und wieso sie sich, wenn er anrief, verleugnen ließ. Ians Gedanken zu erraten war allerdings unmöglich. Es war durchaus nicht ausgeschlossen, dass er zu den wenigen Menschen gehörte, denen Neugier völlig abging. Vielleicht hatte er der ganzen Sache überhaupt keine Bedeutung beigemessen. Was aber mochte er gemeint haben, als er sagte, sie kenne Claudias Gründe? Wieder blitzte die Szene mit der Schwester und ihrer Mutter auf – als knipse man eine Lampe an und gleich wieder aus, sodass lediglich ein verschwommener Eindruck zurückblieb, der ein banges inneres Beben in ihr auslöste. Angestrengt versuchte Rowena, sich an das gesamte Bild zu erinnern, doch es verweigerte sich.
    Sie legte die Post auf der untersten Treppenstufe ab und stieg nach oben, um zu duschen und sich umzuziehen. Danach holte sie das Video und ging in die Küche, wobei sie die Post mitnahm. Während die Aufzeichnungskassette im Anrufbeantworter zum Anfang zurückspulte, zündete Rowena sich eine Zigarette an. Nach mehreren von Penny am Vortag hinterlassenen Nachrichten folgte ein Anruf der Zahnarztpraxis mit dem Hinweis auf ihre anstehende Zahnreinigung. Danach meldete sich Reid, der sich resigniert und etwas säuerlich anhörte. „Ich weiß, Rowena, Sie haben alle Hände voll zu tun, aber würden Sie sich bitte einige Minuten Zeit nehmen für einen Rückruf? Mit dem Dinner heute Abend wird es wohl nichts, aber wie wäre es mit morgen? Oder hat sich aus irgendeinem Grund seit Sonntag etwas geändert? So oder so – ich wäre für Ihren Rückruf dankbar. Jetzt ist es zehn nach drei. Ich bin bis etwa Viertel nach sechs hier in der Praxis. Bis dann. Wiederhören.”
    „Lass mich bitte in Ruhe!” flüsterte sie, als der Piepton erklang. Mit jeder von ihm hinterlassenen Nachricht fühlte sie sich ein bisschen verletzlicher und zweifelte noch ein wenig mehr – an zu vielen Dingen.
    „Hi, Ro! Marcia hier. Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen; ich kann’s gar nicht abwarten, mich mal wieder mit dir zu

Weitere Kostenlose Bücher