Abschied aus deinem Schatten
zusammen, der gerade herauskam. Mit einer gemurmelten Entschuldigung machten beide einen Schritt zurück. Der Mann war etwa Mitte dreißig, gut gekleidet und attraktiv und kam Rowena bekannt vor. In der Annahme, sie habe einen Besucher ihres Lokals vor sich, grüßte sie ihn lächelnd. „Guten Tag. Wie geht’s?”
Er erwiderte ihr Lächeln, aber sein verdutzter Blick war unmissverständlich. „Gut”, sagte er. „Bedaure, ich kann mich nicht an Ihren Namen erinnern.”
Rowena spürte die Schamröte siedend heiß im Gesicht, als sie begriff, woher sie ihn kannte. Sie hatte ihn tatsächlich schon einmal gesehen, und zwar auf einem von Claudias Videos. Die mit ihm gemachte Aufnahme war die einzige gewesen, bei der Rowena sich nicht vor Ekel gekrümmt hatte. Wegen der hitzigen Verzückung, mit der er sich dem Liebesspiel hingab, sowie wegen seines guten Aussehens und der gebräunten Haut hatte sie ihn gleich mit Spanien assoziiert – heißblütig, leidenschaftlich, mit exotischem Temperament, insgesamt ganz anders als Claudias übrige Partner, zwar ein Genießer, wie es schien, doch beileibe kein Mann, der Frauen verachtete. Nun wartete er geduldig darauf, dass sie sich vorstellte. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.
„Irrtum meinerseits. Ich habe Sie mit jemandem verwechselt.” Sie lächelte kläglich.
„Sie sehen auch einer mir bekannten Dame ähnlich. Nur komme ich im Augenblick nicht auf den Namen.” Sein umwerfendes Lächeln enthüllte eine Reihe perlweißer Zähne. Außerdem schien er ein wunderbar aromatisches Aftershave zu benutzen.
Rowena bat nochmals um Entschuldigung und versuchte, an ihm vorbei das Buchgeschäft zu betreten, ohne den Blick ganz von ihm losreißen zu können.
„Ganz kleinen Moment noch”, bat er mit erhobenem Zeigefinger. „Ich hab es gleich! Liegt mir sozusagen auf der Zunge, der Name.”
„Ich bin ein wenig in Eile.” Für den Fall, dass ihm die Bekannte wieder einfiel, wollte Rowena lieber in sicherer Entfernung sein. Doch er dachte weiter angestrengt nach und merkte nicht, dass er ihr den Weg versperrte. „Würden Sie mich bitte …” Sie deutete auf den Eingang und spürte dabei, wie ihr langsam eine Schweißperle zwischen den Brüsten hinunterrann.
„Oh, Entschuldingung!” Er trat beiseite. Genau in dem Augenblick kam ihm anscheinend die Erleuchtung. Mit sichtbar verwirrter Miene stammelte er: „Du bist doch …?”
Ohne ihm Gelegenheit zu geben, den Satz zu beenden, schlüpfte Rowena an ihm vorbei in den Laden. Ganz hinten in der Belletristikabteilung verharrte sie einige Minuten, bis sich ihr Atem beruhigte, wobei sie vorgab, die Titel auf den ausgestellten Büchern zu überfliegen. Als sie dann einen verstohlenen Blick über die Schulter riskierte, war der Mann nicht mehr zu sehen. Nachdem sie das gesuchte Buch gefunden hatte, bezahlte sie an der Kasse und eilte zum Ausgang. Sie vergewisserte sich, dass der Mann tatsächlich verschwunden war, und machte sich dann auf den Rückweg zum Restaurant.
Ian, der rauchend hinter dem Schreibtisch im Büro saß, bot ihr den Stuhl an, doch sie winkte ab, kramte die Schachtel aus der Handtasche und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Einen Arm fest auf die Magengegend gepresst, stand sie da und inhalierte tief.
„Sie sind ja plötzlich so blass, Rowena! Ist etwas passiert?”
„Ich bin eben um Haaresbreite an einer katastrophalen Taktlosigkeit vorbeigeschrammt.” Den Blick zur Wand gerichtet, schüttelte sie den Kopf. „Ich wollte gerade den Buchladen betreten, als mir ein Mann in die Arme läuft, der mir bekannt vorkam. Ich begrüßte ihn freundlich, und er fragte mich, wie ich heiße. Und plötzlich merkte ich, dass ich überhaupt nicht weiß, wen ich da vor mir habe. Ich hatte ihn nur erkannt, weil ich ihn auf einem von Claudias Videos gesehen hatte.”
Sag mal, bist du noch ganz bei Trost?
Bestürzt starrte sie Ian an.
Die Sache mit den Videos, die hast du Mark erzählt – nicht Ian! Mark! Jetzt platzt du vor Ian einfach so damit heraus? Ohne Sinn und Verstand? Bist du denn völlig übergeschnappt?
„Ach ja”, seufzte Ian mit wehmütigem Lächeln, „die berühmten Videos!”
„Berühmt?”
„Ach was, natürlich nicht! Ich habe mir nur schon so oft und so lange etwas von den verdammten Dingern anhören müssen, dass ich mir angewöhnt habe, sie für berühmt zu halten. Hat Ihnen sicher einen Heidenschreck eingejagt, dass Sie auf einmal einem von Claudias nichts ahnenden Opfern
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