Abschied aus deinem Schatten
für Abend ein, zwei Gläser erlaubt! Und du siehst doch selbst, das Baby ist vollkommen gesund!”
„Falls du unbedingt Alkohol trinken musst, solltest du die Kleine auf die Flasche umstellen. Es wird sowieso Zeit, dass du sie abstillst. Alt genug ist sie!”
„Das sehe ich zufällig anders. Cary habe ich auch gestillt, bis er zweieinhalb war, und Claudia ist gerade erst zwei geworden. Rowena allerdings, wie könnte es anders sein, wurde ja nie satt, egal, wie oft ich ihr die Brust gab. Da hab ich’s nach drei Wochen aufgegeben und sie ans Fläschchen gewöhnt. Und schon war sie mopsfidel. Also, wie du selbst siehst, steht mit den Kindern alles bestens.”
„So viel Alkohol wie jetzt hast du während der ersten beiden Schwangerschaften nicht konsumiert! Und eins will ich dir sagen, Jeanne: Ich mache mir ernsthaft Sorgen! Ich weiß, du und George, ihr habt schwere Zeiten hinter euch, und dass ihr eigentlich kein drittes Baby wolltet, das weiß ich auch. Aber darum geht’s hier nicht …”
„Um was denn dann, wenn man mal höflich fragen darf?” sagte Jeanne scharf.
„Es geht gerade erst auf Mittag zu! Du trinkst schon vor dem Lunch! Das ist einfach ungesund – für dich, und für das Baby auch!”
„Ich trinke das Glas nicht leer. Zufrieden? Schau, ich stelle es schon weg. Okay? Reicht das?”
„Offen gesagt, nein! Und da wir schon dabei sind: Zufrieden wäre ich, wenn du endlich den armen, lieben George in Ruhe lassen und deinen Alkoholkonsum in den Griff bekommen würdest!”
„Damit du’s weißt, der arme liebe George ist ein solcher Oberlangweiler, dass man’s gar nicht beschreiben kann. Der tut doch nichts als arbeiten, und wenn er mal zu Hause ist, hat er zu nichts Lust, was mir Spaß macht. Der will mit den Kindern spielen, sein Essen auf dem Tisch haben und dann schlafen. So habe ich mir das nicht vorgestellt, als ich ihn heiratete. Ich habe ein Recht darauf, mich zu amüsieren. Ach, was soll’s, wen interessiert das schon? Wie du willst, Mutter – dann bin ich eben netter zu dem lieben armen Kerl. Hilft zwar nichts, aber wenn es dich beruhigt, dann mache ich’s. Alles klar? Also, könnten wir dann bitte das Thema wechseln? Es geht mir allmählich auf die Nerven, dies Gespräch!”
„Du sagtest doch, du wolltest nicht austrinken!”
„Herrgott noch mal!” Es folgte ein Schlag, wie wenn jemand heftig ein Glas auf den Tisch knallt. „Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln!”
„Du bist aber mein Kind, Jeanne, und außerdem bin ich die Großmutter deiner Kinder! Da trägt man eine gewisse Verantwortung …”
„Für meine Familie trägst du kein bisschen Verantwortung!”
„Oh doch! Meiner Ansicht nach hast du ein Alkoholproblem und schädigst möglicherweise das Baby, wenn du so weitertrinkst und es gleichzeitig stillst.”
„Die Kleine ist völlig normal.”
„Ich fürchte, der Schaden ist vielleicht schon angerichtet. Ich gebe zu, äußerlich wirkt sie völlig normal, aber sie hat irgendwas …”
„Ich stille sie ab! Ist dir das recht? Noch heute wird auf Flasche umgestellt, sofort, diesen Augenblick. Okay? Zufrieden?”
„Es gefällt mir nicht, wie du das auf die leichte Schu…”
„Wenn du nicht sofort damit aufhörst, gehe ich auf der Stelle und esse allein im Club. Mir steht’s bis hier, dass du deine Nase in Sachen steckst, die dich nichts angehen! Und von George und den verdammten Gören und von allen, die meinen, sie müssten mir gute Ratschläge erteilen, habe ich die Nase ebenfalls gestrichen voll! Was ist denn mit
mir
? Was ist …”
Verstört von der stetig lauter werdenden Stimme ihrer Mutter sowie aus Angst, erwischt zu werden, hatte Rowena sich in ihren Schlupfwinkel in dem kleinen, gewölbten Verschlag unter der Treppe verkrochen. Sie bemühte sich zu begreifen, was sie soeben mitgehört hatte, kauerte im Dunkeln und wartete, bis die Hausangestellte sie zum Lunch hervorholte.
Mit einem Schlag wieder in der Gegenwart zurück, erkannte Rowena, dass sie den Wagen offenbar wie per Autopilot bis New Canaan gesteuert hatte – bereits der zweite Vorfall dieser Art, der sie mehr als beunruhigte. Sie nahm sich vor, von nun an mehr Sorgfalt walten zu lassen. Dennoch, die Erinnerungen von vorhin konnten Gold wert sein. Sie passten nämlich genau zu etwas, was sie erst kürzlich gelesen hatte, zu etwas sehr Wichtigem.
Nachdem sie den Wagen auf dem Parkplatz abgestellt hatte, schaltete sie das Autoradio aus, stützte die Ellbogen auf das Lenkrad und
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