Abschied aus deinem Schatten
abfinden sollen? Ein höchst kompetenter, hoch gebildeter Mensch wie er, mit ausgesuchtem Modegeschmack! Mit Oberklassenakzent und, jede Wette, Referenzen einer Elite-Hotelfachschule! So jemand kann sich seine Stellung doch nach Gutdünken aussuchen. Es muss also ein triftiger Grund vorliegen, dass er nicht gekündigt hat. An der gemütlichen Atmosphäre im ‚Le Rendezvous‘ allein kann’s nicht gelegen haben, so viel ist sicher.”
„Und er blieb selbst dann noch, nachdem …” Nicht sicher, was sie eigentlich sagen wollte, verstummte sie.
„Nachdem was?”
„Nachdem Claudia tot war. Vielleicht hat er das Ganze nicht ausgehalten und sie deshalb ermordet.”
„Hoppla! Augenblick mal! Hab ich den Anfang vom Film verpasst? Wer hat was von Mord gesagt?”
„Sie hätte niemals Selbstmord begangen, Mark. Nie! Suizid – das wäre das Letzte gewesen, was Claudia getan hätte!”
„Meine Liebe, genau das hat sie getan! Hier schießt du aber weit übers Ziel hinaus! Ermordet hat sie kein Mensch!”
„Meine Schwester hat nicht Hand an sich gelegt.”
„Das war’s also, was dich die ganzen letzten Monate umgetrieben hat? Mal probieren, so wie Claudia zu leben, über die gefundenen Videos grübeln, die Arbeit im Restaurant, und alles nur, um rauszubekommen, wer sie auf dem Gewissen hat?”
„Ich habe nicht versucht, Claudia zu imitieren, wenn du das meinst. Und zufällig macht mir diese Arbeit sehr viel mehr Spaß als die in der Bibliothek. Eins stimmt allerdings. Ich habe tatsächlich herauszufinden versucht, wer sie umgebracht hat.”
„Sie ist nicht umgebracht worden!”
„Irrtum! Sowohl Ian als auch Reid hatten ein Motiv.”
„Ach nee! Da bin ich aber gespannt! Dann klär mich doch bitte auf!”
„Geht leider nicht, wie du siehst.”
„Na toll. Motiv unbekannt. Entschuldige, aber meinst du nicht, der Pathologe hätte auf einer Obduktion bestanden, wenn ihm bei der Todesursache auch nur das Geringste suspekt vorgekommen wäre?”
„Der Kerl hat doch allerhöchstens zehn Minuten bei ihrer Leiche zugebracht!”
„Für einen erfahrenen Spezialisten genug Zeit, um sich zu vergewissern, ob etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.”
„Das sehe ich anders.”
„Von mir aus bis du schwarz wirst, aber das heißt noch lange nicht, dass Mord im Spiel ist. Willst du mir etwa erzählen, du arbeitest Tag für Tag mit einem deiner Hauptverdächtigen zusammen, während der andere dir in Liebe zugetan ist?”
„Durchaus möglich.”
„Nun, dieser Reid weiß momentan nur, dass du aus irgendeinem Grund plötzlich die Spröde herauskehrst und seine Anrufe nicht erwiderst. Und Ian reagiert vergrätzt, weil du in letzter Zeit Sachen abziehst, die ihn sehr an Claudia erinnern, was nach seinem Geschmack verdammt unangenehm ist. Beide ahnen also nicht, dass du sie verdächtigst. Was hast du denn vor?”
„Gar nichts. Und Sachen ziehe ich auch keine ab. Ich habe bloß eine Rufnummernerkennung installieren lassen, weil ich im Augenblick keine Lust habe, mit Penny oder mit Reid zu reden.”
„Sag mal, merkst du eigentlich nicht, wie konfus sich das alles anhört?” Er fasste sie bei der Hand. „Vielleicht solltest du mal abschalten und dich auf eine deiner langen Reisen begeben. Allmählich gerät hier alles außer Kontrolle. Im Ernst! Ian ein Mörder – das glaubst du doch selbst nicht! Sonst würdest du vor lauter Angst keinen Fuß mehr ins Restaurant setzen! Und Reid – traust du dem wirklich ein Gewaltverbrechen zu?”
„Könnte doch sein! Woher soll ich das wissen?”
„Eben – woher sollst du das wissen?” wiederholte er. „Na, mir jedenfalls kam der Mann ziemlich zart besaitet vor, bei der Behandlung, die ihm deine Schwester verabreicht hat! Meiner Meinung nach kann der Kerl keiner Fliege was zu Leide tun. Was soll das eigentlich, Ro? Was redest du da? Einerseits traust du Ian und Reid einen Mord zu, andererseits wieder nicht?”
„Ian geht bei der kleinsten Kleinigkeit an die Decke, und Reid lügt ebenfalls beim geringsten Anlass. Irgendwie passt das zusammen; ich weiß nur noch nicht, wie!”
„Na, toll! Gut, dann gehen diesem Ian eben hin und wieder mal die Pferde durch! Und Reid nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau. Deswegen sind die zwei noch lange keine Killer. Sag mir doch mal, was dich daran ins Grübeln bringt.”
„Es hängt mit Claudia zusammen … und mit meiner Mutter. So langsam fällt mir einiges … äh … wieder ein.”
„Was denn?” fragte er
Weitere Kostenlose Bücher