Abschied aus deinem Schatten
Beute – Videorekorder, Schmuck und dergleichen.” Sie drückte die Zigarette aus und erhob sich. „Komm, leiste mir Gesellschaft, während ich den Salat mache.” Als sie die Worte aussprach, sah sie wieder ihre Schwester als kleines Mädchen vor sich. Wie oft hatte Claudia sie angebettelt, ihr Gesellschaft zu leisten. „Ich mag nicht gern allein sein”, hatte sie immer gesagt.
Wer warst du? fragte sie sich mit einem merkwürdigen Schmerz in der Brust. Woher kamen deine Stimmungsschwankungen, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt? Woher das Sammelsurium aus Ängsten und Phobien? Was hat dich von der Wiege bis zum Grab an dieses Haus gefesselt? Und wieso kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass der Einbruch deinetwegen stattfand, nicht wegen der dubiosen Dinge, die sich in diesem Hause befinden könnten?
„Hallo!” Mark wedelte ihr mit der Hand vor dem Gesicht herum. „Planet Erde an den kleinen Napfkuchen!”
„Tut mir Leid!” Rowena fasste nach seiner Hand und ging mit ihm Richtung Küche. „Hab letzte Nacht wenig geschlafen und bin schon den ganzen Tag irgendwie weggetreten.”
Einen Augenblick drückte er ihre Hand und nahm dann die neue Hintertür in Augenschein. „So hell wie vorher ist es hier jetzt nicht mehr. Ein Jammer. Andererseits muss man es positiv sehen. Man bräuchte einen Rammbock, um das Schmuckstück hier zu durchbrechen.”
„Das ist ja schließlich der Sinn der Sache”, bemerkte sie und griff nach der nächsten Zigarette. „Setz dich doch, Mark! Mach es dir bequem!”
„Wie bitte? Während du Nervenbündel am ganzen Körper zitterst? Tut mir wirklich Leid, Ro, dass das passiert ist. Rauchst du übrigens jetzt wieder so viel wie früher?”
„Heute schon. Morgen – wer weiß?” Nachdem sie die Zigarette auf dem Rand des Aschenbechers deponiert hatte, legte sie eine grüne Paprikaschote auf dem Schnittbrett zurecht und griff nach einem Messer.
„Soll ich die Flasche Wein dort öffnen?”
„Ja, bitte. Ach, und bevor du heute gehst – erinnere mich daran, dass ich dir einen Schlüssel für die neue Tür gebe!”
„Jetzt hör mal zu, Ro! Du darfst dir durch diesen Vorfall nicht die Freude an dem Haus verderben lassen. Ich weiß doch, wie sehr dir dieser Kasten am Herzen liegt!”
Rowena legte das Messer hin und drehte sich, die Zigarette wieder zwischen den Fingern, zu ihm um. „Als wir Kinder waren, hatten wir unten im Hobbykeller den Fernsehapparat. Claudia schaute für ihr Leben gern fern. Sie hätte am liebsten vom Morgengrauen bis spät in die Nacht vor der Flimmerkiste gesessen. Aber sie mochte da unten nicht allein sein; das machte ihr Angst. Dauernd hat sie mich angefleht, mich zu ihr zu setzen. Und dennoch: Am Ende hauste sie hier mutterseelenallein.”
Er begriff nicht ganz. „Worauf willst du hinaus?”
„Gestern Abend war mir dies Haus verhasst. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Claudia sich als Kind so ähnlich gefühlt haben muss. Bestimmt hatte sie Angst vor der Dunkelheit und war wütend auf das Haus, weil es ihr Furcht einflößte.” Sie zog ein letztes Mal an der Zigarette und drückte sie dann aus.
„Vielleicht bin ich etwas schwer von Begriff, aber ich habe immer noch nicht kapiert, was du damit sagen willst.”
„So ganz sicher bin ich mir da selbst nicht, abgesehen davon, dass ich nicht an Claudias Selbstmord glaube. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass der Einbruch irgendwie mit ihrem Tod in Verbindung steht.”
„Rowena, mein Schatz, du sprichst in Rätseln.” Sein markantes, attraktives Gesicht verzog sich zu einer bekümmerten Miene.
„Mag sein, aber so denke ich nun mal.”
„Du hattest Angst. Jetzt versuchst du, dafür eine logische Erklärung zu finden.” Er trat auf sie zu und schloss sie in die Arme. „Angst zu haben ist keine Schande.”
„Ich fürchte mich immer noch”, gab sie zu, eng an ihn geschmiegt.
„Dass man sich fürchtet, ist halb so schlimm”, wiederholte er, wobei er ihr gedankenverloren über den Nacken streichelte, als wäre sie ein ängstliches kleines Tier. „Wenn du dich aber derart in die Umstände von Claudias Tod hineinsteigerst, geht das zu weit. Ich hatte gedacht, du hättest deinen Frieden damit gemacht. Jetzt muss ich erkennen, dass dem nicht so ist, und das gefällt mir nicht. Sie ist tot, Rowena! Du musst dich damit abfinden.”
„Ich möchte es ja! Es ist aber nicht leicht! Es gibt einiges an meiner Schwester, das ich wohl nie begreifen werde. Sie
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