Abschied aus deinem Schatten
aus, als hätten sie sich auf Elternschlafzimmer und Wohnzimmer konzentriert. Schauen Sie doch bitte mal nach, ob irgendwas fehlt!”
Obwohl ihr mittlerweile die Beine fast gänzlich den Dienst versagten, stieg sie die Treppe hinauf, ging den oberen Flur entlang und dann ins Schlafzimmer. Jede Schublade war ausgeräumt, das Ankleidezimmer ein einziges Chaos. Nach einem kurzen Kontrollblick kehrte sie nach unten zurück, wobei sie sich krampfhaft am Geländer festklammerte, aus Angst, die zittrigen Beine könnten vollends nachgeben.
Zum zweiten Mal schaute sie ins Wohnzimmer und wandte sich dann an die Beamten. „Stereoanlage, Videorekorder und Fernseher sind noch da. Auch vom Schmuck fehlt offenbar nichts, aber ganz genau kann ich das so auf Anhieb nicht sagen.” Was ihr Stunden zuvor noch so vertraut gewesen war, bot ihr nun keinen Trost mehr. „Ich weiß es einfach nicht”, fügte sie ratlos hinzu.
Zu dritt setzten sie sich an den Küchentisch, um das Protokollformular auszufüllen. „Wegen der Hausratversicherung”, erklärte der ältere der beiden Beamten. „Für den Fall, dass doch irgendwas weg ist.”
Als das erledigt war, gaben die beiden Rowena den Rat, eine Einbruchsicherung installieren zu lassen. „Ihre Hintertür zu knacken”, sagte der jüngere Beamte, „das hätte jedes Kind geschafft!” Er zeigte ihr, dass jemand eine der kleinen Sprossenscheiben eingeschlagen und dann mit Leichtigkeit die Tür von innen entriegelt hatte. „Die nächsten Tage werden wir mal ein wenig genauer auf das Haus aufpassen”, versprach er beim Abschied. „Aber um das Alarmsystem sollten Sie sich möglichst schnell kümmern. Wenn einer Sie beobachtet, hat er Ihren Tagesablauf im Nu raus. Ihr Haus verleitet ja regelrecht zum Einbruch, wenn drei, vier Abende die Woche niemand da ist!”
Mit diesem deprimierenden Hinweis zogen sie ab. Rowena schloss die Haustür hinter ihnen zu und ging mit steifen Beinen in die Küche zurück, wo sie eine ganze Zeit die Hintertür und die glänzenden Glassplitter auf dem Fußboden anstarrte. Im Augenblick ließ sich der rückwärtige Zugang zum Haus nur dadurch sichern, dass sie die Fliegengittertür zumachte und verriegelte. Nun noch verängstigter als zuvor, setzte sie Kaffee auf und ging dann nach oben, um sich umzuziehen. In dem stahlblauen Seidenkleid von Claudia kam sie sich jetzt so fremd vor, dass sie sich ihre alten, unauffälligen Sachen zurückwünschte – die Garderobe, die sie einst als Bibliothekarin getragen hatte.
Mit Tränen in den Augen durchsuchte sie den Kleiderhaufen auf dem Fußboden, stieß schließlich auf eine weite Baumwollhose mit Kordel im Bündchen, ein T-Shirt und ihre alten Mokassins und zog die Sachen an. Zurück in der Küche, fegte sie die Glasscherben auf und besah sich die Hintertür genauer. Sie könnte den Küchentisch mit der Marmorplatte vor die Tür schieben, denn solange die Einbruchsicherung noch nicht installiert war, setzte der Tisch weiteren Einbruchsversuchen immerhin einen gewissen Widerstand entgegen.
Es kostete sie einige Mühe, das wuchtige Möbelstück Zentimeter für Zentimeter quer durch die Küche zu schieben, und als es endlich an Ort und Stelle stand, zitterte Rowena vor Anstrengung und auch vor Angst, die sich immer noch nicht gelegt hatte. Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, zündete sich eine Zigarette an und ging ins Wohnzimmer. Dort stand sie eine ganze Weile, rauchte, nippte an ihrem Getränk, besah sich das Durcheinander und fragte sich, aus welchem Grunde Ian wohl ins Haus eingebrochen sein könnte. Es fiel ihr keine plausible Erklärung ein. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass er der Täter sein sollte. Gewiss, die Geschichte mit der Reifenpanne klang an den Haaren herbeigezogen, aber es konnte auch gut sein, dass er unterwegs gewesen war, um den Champagner zu kaufen oder den Kuchen abzuholen.
Innerhalb kurzer Zeit hatte sie in einem Ausbruch zorniger Energie wieder Ordnung ins Wohnzimmer gebracht. Offenbar fehlte tatsächlich nichts, auch keins der Videos. Natürlich sind die Videos noch da! schalt Rowena sich. Denn die anrüchigen Kassetten hatte sie doch längst verschwinden lassen! Und wer würde schon einbrechen, nur um einen Stapel alter Kinofilme zu stehlen?
Erneut füllte sie sich Kaffee nach, ging nach oben und räumte das Schlafzimmer auf, wobei sie alle paar Minuten innehielt, um einen Schluck Kaffee zu nehmen. Als sie alle Sachen wieder auf Bügel gehängt, die Kleidungsstücke
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