Abschied aus deinem Schatten
heimkam oder das Haus verließ, sah sie sich mit prüfendem Blick um und hielt Ausschau nach etwaigen verdächtigen Personen. Das Alarmsystem erwies sich als ziemliches Ärgernis – eine Zahl mehr, die man im Kopf behalten musste, wie die Geheimnummern für das Giro- oder Sparkonto, die Kennnummer für die Sozialversicherung, selbst die ihres Führerscheins. Trotzdem: Die Einbruchssicherung und die zahlreichen Schaltuhren, die das Licht in den unterschiedlichen Räumen des Hauses automatisch einund ausschalteten, vermittelten ihr doch das Gefühl, dass sie nicht ganz hilflos war. Auch die Vorbehalte gegenüber Ian lösten sich auf, nachdem er, als er von dem Einbruch hörte, darauf bestanden hatte, sie abends nach der Arbeit im Restaurant zum Auto zu begleiten.
Immer wieder machte sie sich darauf gefasst festzustellen, dass seit dem Einbruch doch etwas fehlte. Aber Wochen vergingen, und schließlich musste sie einsehen, dass nichts entwendet worden war. In ihren dienstfreien Stunden arbeitete sie im Garten und musste sich ständig ermahnen, sich endlich die Kisten mit den Dokumenten vorzunehmen, die im Keller standen. Allerdings sah es so aus, als sollte sie einfach nicht dazu kommen.
Inzwischen hatte Tony Reid zwei Tage hintereinander Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen, genau zu dem Zeitpunkt, an dem sie allmählich annahm, sie werde nichts mehr von ihm hören. Obwohl sie sich darüber freute, machte sie sich nicht die Mühe zurückzurufen. Unverändert lehnte sie eine Beziehung entschieden ab. Er war zu attraktiv, sie hingegen zu empfänglich für seine Reize.
Am Nachmittag des letzten Julisonntags bekam Reid sie schließlich doch noch an den Hörer. Als er ihre Stimme vernahm, sagte er: „Ich kann es gar nicht fassen, dass ich Sie diesmal erwische und nicht Ihren Anrufbeantworter. Einen letzten Versuch wollte ich noch wagen, dann hätte ich aufgegeben und mich in den Schmollwinkel verdrückt.”
„Ich hatte vor, Sie anzurufen”, log sie. Viel lieber wäre ihr gewesen, sie wäre draußen geblieben und hätte den Anruf dem Gerät überlassen. „Offen gesagt war ich nicht in der Stimmung, um mich unter Leute zu begeben.” Es war ihr sehr peinlich, auch nur am Telefon mit ihm zu sprechen, weil sie gleichzeitig an seine Rolle in ihren Träumen dachte. Doch in seiner tiefen, wohltönenden Stimme mit dem humorvollen Unterton lag etwas überaus Verführerisches.
„Wieso denn nicht?”
„Abgesehen davon, dass ich im Restaurant alle Hände voll zu tun habe, wurde vor ein paar Wochen bei mir eingebrochen.”
„Na, so ein Pech! Wurde viel geraubt?”
„Merkwürdigerweise nicht. Überhaupt nichts.”
„Das ist allerdings seltsam. Aber ich weiß, so etwas nimmt einen ganz schön mit. Mein Wagen ist ebenfalls ein- oder zweimal aufgebrochen worden. Vielleicht täte Ihnen etwas Ablenkung gut. Darf ich Sie heute Abend zum Dinner einladen?”
„Danke, lieber nicht. Restaurants üben nicht mehr die Faszination auf mich aus wie früher.” Sie lachte und hoffte insgeheim, er werde aufgeben.
„Sehe ich ein. Wie wäre es dann mit einer Fahrt auf meinem Boot?”
„Sie haben ein Boot?”
„Allerdings. Einen Kabinenkreuzer. Liegt im Jachthafen von Norwalk Cove.”
„So weit weg von Ihrem Haus?”
„Kommt billiger. Falls Sie etwas von Booten verstehen, wissen Sie bestimmt, dass es in den letzten Jahren zum absoluten Luxus geworden ist, eine Yacht zu besitzen. Die Liegegebühren und dergleichen sind exorbitant in die Höhe geschossen. Aber ich habe meine
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jetzt schon so lange, dass ich sie nicht einfach aufgeben wollte. Deshalb liegt sie in Norwalk vertäut. Wären Sie denn für einen Ausflug zu begeistern?”
Rowena warf einen Blick durchs Fenster. Draußen auf dem Sund war es jetzt bestimmt herrlich. Und jemand, der sein Boot
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nannte, konnte doch kein Unhold sein! „Ich wäre nicht abgeneigt”, sagte sie, wenngleich ihre innere Stimme ihr dringend abriet. „Wann wollten Sie denn los?”
„Wie wäre es mit sofort? Ich bin gerade im Jachthafen und könnte Sie abholen.”
„Und ich habe den ganzen Kühlschrank voller Lebensmittel. Soll ich ein paar Sachen einpacken, und wir essen auf Ihrem Schiff?”
„Wunderbar! Wo genau finde ich Sie?”
Sie gab ihm ihre Adresse durch. „Bin in zwanzig Minuten da”, versprach er und legte auf.
Gern hätte sie etwas mehr Zeit gehabt, um sich umzuziehen. In dem ausgeblichenen blauen Baumwollkleid und den Sandalen kam
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