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Abschied aus deinem Schatten

Abschied aus deinem Schatten

Titel: Abschied aus deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Vale Allen
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verkörperte vieles, was keiner verstand. Eins aber weiß ich mit absoluter Sicherheit: Sie hätte sich niemals umgebracht. Nie!”
    „Laut Gutachten des Pathologen war es ein unglückseliges Versehen. Wieso gibst du dich mit seiner Schlussfolgerung nicht zufrieden?”
    „Weil sie mich nicht zufrieden stellt. Leider.” Sie löste sich aus der Umarmung. „Wolltest du nicht die Flasche Wein öffnen?”
    Mark betrachtete sie noch eine ganze Weile, zuckte dann aber die Achseln, als wolle er andeuten: Na schön, mehr als versuchen kann ich’s nicht. Schließlich öffnete er die Schublade und nahm einen Korkenzieher heraus.
    Beide sprachen kaum noch ein Wort, bis Rowena aufgetragen hatte und sie am Esstisch Platz nahmen. Schließlich sagte sie, um die Stimmung etwas zu heben: „Das Personal hat gestern Abend mir zu Ehren eine Überraschungsparty gegeben.”
    „Oho! Dein bestgehasstes Freizeitvergnügen! Wie war’s?”
    „Eigentlich ganz lustig. Sie haben mir eine wunderhübsche Kristallschale geschenkt. Eine echte Lalique, Jugendstil.”
    „Die im Wohnzimmer steht? Hab mich schon gefragt, woher die stammt.”
    „Dir entgeht aber auch nichts, was?”
    „Jedenfalls keine Lalique-Schälchen. Tolles Geschenk, mein Schatz. Vielleicht glaubst du jetzt allmählich, dass die Truppe dich ehrlich mag.”
    Sie wandte kurz den Blick ab, sah Mark dann wieder an und strahlte. „Ich habe es sogar geschafft, ein Gläschen Wein und ein Glas Champagner zu trinken und dabei nüchtern zu bleiben. Ian allerdings war voll wie eine Strandhaubitze.”
    „Ach, das gibt’s doch nicht! Dies Bollwerk britischer Etikette hat sich einen hinter die Binde gegossen?”
    „Und wie! Zwanzig Minuten hat er getanzt wie ein Weltmeister! Er ist übrigens ein hervorragender Tänzer – erstaunlich, denn ich hatte ihn immer für sehr spröde gehalten. Dann setzte er sich neben mich, wurde rührselig und faselte allerlei Unverständliches über Claudia, sodass es mir gewaltig auf die Nerven ging. Ich hatte Angst, er könne mir mit einem plumpen Annäherungsversuch kommen oder irgendwas Dummes von sich geben. Dann hätte ich nämlich den Respekt vor ihm verloren. Du kennst doch sicher solche Situationen, oder? Wenn man sich zwingt, rassistische oder heuchlerische Bemerkungen zu überhören, weil man dem anderen, der sie von sich gegeben hat, sonst die Freundschaft aufkündigen müsste. Schlimmer noch: Dieser Person, die man fünf Minuten zuvor noch ganz sympathisch fand, müsste man unter Umständen eröffnen, dass man sie für den größten Idioten hält, der einem je untergekommen ist. Kennst du so etwas?”
    „Zur Genüge”, erwiderte er. „Mein ganzes Leben habe ich mir solchen Unsinn anhören müssen.”
    „Na, siehst du! Also, ich wurde allmählich unruhig, aber dann kamen Jill und Mae mit seinem Mantel und brachten Ian nach Hause. Die beiden haben sich rührend um ihn gekümmert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer, der so die menschlichen Schutzinstinkte anspricht, einen Einbruch vortäuscht.”
    „Fängst du schon wieder damit an!” rief er ungeduldig. „Übrigens, das Essen schmeckt köstlich! Wieso isst du nicht auch was davon?”
    „Ich habe keinen Appetit.” Sie nippte an ihrem Weinglas.
    „Jetzt tu mir den Gefallen und iss was von deinem verdammten Dinner, Rowena!” giftete er plötzlich los. „Dein Körper kommt mit Nikotin und Wein allein nicht aus! Ich finde es alles andere als lustig, hier zu sitzen und zu futtern wie ein Scheunendrescher, während du die Blanche Dubois aus ‚Endstation Sehnsucht‘ spielst mit deinen verblassten Erinnerungen an Claudia als einsames kleines Mädchen! Und dann schwärmst du mir auch noch was von diesem verkniffenen Ian vor, nur weil der mal blau war und sich zum ersten Mal im Leben wie ein richtiger Mensch aufgeführt hat!”
    Rowena war tief getroffen. „Das war taktlos”, sagte sie leise.
    „Nein, ganz und gar nicht! Langsam wirst du mir nämlich unheimlich, und das finde ich nicht lustig. Du musst etwas essen!”
    Sie dachte an die Anstrengungen, die er unternommen hatte, um Tim in dessen letzten Lebensmonaten zum Essen zu bewegen, indem er ihm seine Lieblingsgerichte kochte oder kreuz und quer durch den Bezirk Fairfield fuhr, um frische Papayas oder reife Mangofrüchte aufzutreiben. Sie wusste auch noch, wie Mark krampfhaft seine Panik zu unterdrücken suchte, wenn Tim gerade mal zwei oder drei Bissen hinunterbekam, die er dann, kaum dass er sie geschluckt hatte, doch

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