Abschied braucht Zeit
Kehrseite des Paradigmas vom selbstbestimmten Sterben ist. Immer häufiger werden Rechte von Sterbenden eingeklagt und wird über die Verantwortung für den Sterbeprozess und über Konzepte, in Würde zu sterben und sterben zu lassen, reflektiert und diskutiert. 67 Das Thema Sterben und Tod findet auch in den Medien zunehmend Aufmerksamkeit, obwohl eigentlich niemand gerne über sein eigenes Sterben spricht. Was wünschen sich Menschen am Ende ihres Lebens? In einem Editorial des British Medical Journals nennt der Herausgeber Richard Smith im Januar 2000 zwölf Elemente eines »guten Todes«:
– Zu wissen, wann der Tod kommt, und zu verstehen, was zu erwarten ist
– Die Kontrolle über das Geschehen zu behalten
– Würde und Privatsphäre zugestanden zu bekommen
– Eine gute Behandlung der Schmerzen und anderer Symptome
– Die Wahl zu haben, wo man sterben möchte (zu Hause oder anderswo)
– Alle nötigen Informationen zu bekommen
– Jede spirituelle und emotionale Unterstützung zu bekommen
– Hospizbetreuung überall, nicht nur im Krankenhaus
– Bestimmen zu können, wer beim Ende dabei sein soll
– Vorausbestimmen zu können, welche Wünsche respektiert werden sollen
– Zeit zu haben für den Abschied
– Gehen zu können , wenn die Zeit gekommen ist, und keine sinnlose Lebensverlängerun g zu erleiden 68
Autonomes Sterben hat sich zu einem dialogischen Prozess entwickelt, in dem der Betroffene zwar Rechte hat, deren Wahrnehmung aber entscheidend von ärztlichen Sichtweisen und Empfehlungen beeinflusst wird. Unter den Bedingungen der modernen Medizin ist es schwieriger geworden, den Beginn des Sterbens zu erkennen, es unvoreingenommen zu akzeptieren und sein Handeln adäquat daran zu orientieren. Die prognostische Unsicherheit im Einzelfall ist neben dem Unwissen über die rechtlichen Voraussetzungen, um auf sinnlose medizinische Maßnahmen verzichten zu dürfen, der Hauptgrund für ein von vielen als unwürdig empfundenes Sterben. Prognosen in der Medizin beruhen auf dem Wissen um statistische Wahrscheinlichkeiten und auf professioneller Erfahrung. Da sich Hoffnungen und Erwartungen im Einzelfall jedoch nicht unbedingt an Wahrscheinlichkeiten orientieren, erfolgt die Meinungsbildung zu Entscheidungen in weit fortgeschrittenen Erkrankungssituationen häufig irrational – das Unwahrscheinliche wird zum Trost. Dies erschwert aber nicht nur die Kommunikation, sondern fördert auch Aktionismus und symbolhaftes Handeln in sterbenahen Situationen.Der von Hans Jonas 1987 im Zusammenhang mit der Diskussion um die Bestimmung des Todeszeitpunktes beim Hirntod formulierte Satz: »Die Grenzlinie zwischen Leben und Tod ist nicht mit Sicherheit bekannt, und eine Definition kann Wissen nicht ersetzen« ist sicherlich nicht nur für die Situation des komatösen Patienten zutreffend. Die prinzipielle prognostische Unsicherheit macht es oft schwierig, an der Grenzlinie zwischen Leben und Tod zu Entscheidungen zu gelangen, die der besonderen Würde dieser letzten von der Natur gegebenen Gewissheit gerecht werden.
Noch schwieriger ist es, die Dauer des Sterbens im Einzelfall zu bestimmen. Während sich psychisches und soziales Sterben oft über Jahre hinzieht, wird der Verlauf der physischen Sterbezeit nicht nur von der Art der Krankheit und der individuellen Disposition oder Morbidität der Betroffenen, sondern vor allem auch von Art und Umfang medizinischer Interventionen bestimmt. Während früher kurze, sich über wenige Tage erstreckende Sterbeverläufe die Regel waren, sind es heute oft lange Wochen und Monate, in denen sich ein Mensch im Sterben befindet, bis der Tod eintritt.
In den letzten Jahren sind die Patientenrechte zunehmend gestärkt worden. Die auf der 72. Gesundheitsministerkonferenz 1999 in Trier verabschiedete Charta der Patientenrechte konzentrierte sich im Wesentlichen auf das Recht auf Information, auf qualifizierte Behandlung und auf selbstbestimmtes Sterben sowie auf Patientenrechte im Schadensfall. 69 Die Formulierung von Rechten genügt jedoch nicht allein, um die Entscheidungsprobleme bei sterbenskranken und sterbenden Menschen zu erleichtern und der Selbstbestimmung in sterbenahen Situationen gerecht zu werden. Das Verhältnis zwischen Patient, Arzt, Pflegenden und Therapeuten wird immer durch eine Asymmetrie der durch unterschiedliche Stärken und Schwächen gekennzeichneten Rollen bestimmt. So istauch der Katalog von Patientenrechten, durch die sich die Beziehung im
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