Abschied in Dunkelblau
normales Geschäftsrisiko betrachten, Lois.«
Sie verlor schlagartig jegliche Gesichtsfarbe, die sie inzwischen wiedergewonnen hatte. »Wie können Sie so etwas Schreckliches sagen? Sie ... Sie sind so gut zu mir gewesen.«
»Was hat das damit zu tun?«
»Aber sehen Sie nicht, daß ...«
»Ich sehe nur, daß Sie eine verdammte Idiotin sind, Lois. Sie haben mich nach dem beurteilt, was Sie gesehen haben. Sie haben beschlossen, was ich für ein Mensch bin. Falls ich diesem Bild nicht gerecht werden kann, ist das nicht meine Schuld.«
Nach langem Schweigen fragte sie: »Ist das nicht Verschwendung?«
»Verschwendung von was?«
»Von Ihren Fähigkeiten! Es scheint so erniedrigend. Verzeihen Sie, wenn ich das sage. Ich habe diese Filme über Afrika gesehen. Der Löwe erlegt eine Beute, und dann nähern sich listige Tiere, schnappen sich etwas und laufen weg. Sie sind so intelligent, Trav, Sie haben so ein Gespür für Menschen. Und Sie haben ... Sie haben die Gabe der Zärtlichkeit. Des Mitgefühls. Sie könnten beinahe alles im Leben erreichen.«
»Natürlich!« sagte ich, sprang auf und fing an, in der Lounge auf und ab zu marschieren. »Warum bin ich darauf nicht gekommen? Hier bin ich und verschwende meine goldenen Jahre auf dieser lausigen Barkasse, komme mit flügellahmen Frauen ins Gehege, wo ich doch da draußen sein und etwas erreichen könnte. Wer bin ich denn, daß ich mich nicht ins Zeug lege? Warum träume ich nicht von einem eigenen Anwesen und wie man es beschützt? Meine Güte, gute Frau, ich könnte für eine Million Lebensversicherungen im Jahr verkaufen. Ich sollte eigentlich das Ruder auf dem Flaggschiff des Lebens übernehmen. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, eine kleine Frau zu finden und alles, was dazu gehört. Mitgliedschaft im Club, Elternbeirat, einen leergefegten Schreibtisch und natürlich die richtige Partei wählen, jawoll, meine Herren! Und dann, wenn ich ein Bürger im Ruhestand bin, kann ich ...«
Ich hörte auf, als ich sie leise weinen hörte. Sie saß mit gesenktem Haupt da. Ich ging zu ihr hinüber und legte ihr die Fingerspitzen unter das Kinn. Ich hob ihren Kopf hoch und schaute in ihre tränenüberströmten Augen.
»Bitte nicht«, flüsterte sie.
»Sie bringen das Schlimmste in mir zum Vorschein, gute Frau.«
»Es geht mich ja überhaupt nichts an.«
»Da will ich Ihnen nicht widersprechen.«
»Aber ... wer hat Ihnen das angetan?«
»Wir werden uns nie nahe genug kommen, daß ich auch nur den Versuch machen würde, Ihnen das zu erzählen, Lois.«
Sie versuchte zu lächeln. »Ich glaube, unmißverständlicher kann man das kaum ausdrücken.«
»Und ich bin auch keine tragische Figur, ganz gleich, wie sehr Sie versuchen, mich dazu zu machen. Ich bin entzückt von mir, gute Frau.«
»Das würden Sie nicht so sagen, wenn es stimmen würde.«
»Verschonen Sie mich mit weiblichen Intuitionen.«
Sie schauderte und nahm sich zusammen. »Ich bin Ihnen dankbar. Ich werde jetzt Fragen beantworten.«
»Was hat er über Geld gesagt?«
Sie gab sich Mühe. Sie saß so artig und aufmerksam da wie ein intelligentes Schulkind. Er sagte, er hätte alles Geld, das er jemals benötigen würde. Ja, das hatte er bei verschiedenen Gelegenheiten in abgewandelter Form immer wiederholt. Und er sagte, er würde nie welches davon brauchen, um sich eine Frau zu kaufen. Es gab ein Versteck an Bord, wo er Bargeld aufbewahrte.
»Vielleicht auch noch etwas anderes«, meinte sie mit merkwürdiger Stimme.
»Was?«
»Lassen Sie mich nachdenken«, sagte sie. Ihr Gesicht war ganz ruhig. Sie hatte diesen lauschenden Gesichtsausdruck von Leuten, die in ungenauen Erinnerungen graben. »Eine blaue, angeschlagene Murmel«, meinte sie. »Es ist so ein heißer Tag gewesen. Erdrückend heiß, weil den ganzen Tag kein Wind gegangen ist. Und der gleißende Widerschein vom Wasser. Ich hatte zuviel getrunken und kämpfte mit Übelkeit. Ihre Stimmen sind ineinander verschwommen. Sie haben die ganze Zeit über etwas gestritten und sich angeschrien. Er hat ihr etwas gezeigt, und es ist auf das Bootsdeck gefallen, eine blaue Murmel, die ihr auf dem Teakholz entgegenrollte. Sie rollte schief. Sie ist darauf zugesprungen und hat sie in den Mund gesteckt, wie ein kleines Kind. Ich schätze, sie ist nicht älter als achtzehn gewesen, aber sie war so alt wie das ganze Übel der Welt zusammengenommen. Er hat eine Mordswut gehabt und ist auf sie los gegangen, da hat sie ihn ausgelacht und ist weggerannt. Er
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