Abschied in Dunkelblau

Titel: Abschied in Dunkelblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John D. MacDonald

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küßte ihre verschwitzte Stirn und deckte ihre schmalen Schultern zu. Symbol der Schwäche. Symbol des Teufels. Aber für mich selbst konnte ich kein Symbol finden. McGee als der Rächende Engel war wohl doch etwas zu dick aufgetragen. Ich hegte ja die Hoffnung, Rache mit Habgier zu versetzen. Oder umgekehrt. In beiden Fällen vereinfachte das die Überlegungen stark.
    Sie begann, das Essen herunterzuschlingen wie ein Wolf. Die angekündigte Teilnahmslosigkeit stellte sich ein, mit einem kleinen, süßen, abwesenden Lächeln, Gähnen und Schläfrigkeit. Sie zog sich an, und wir gingen spazieren, und während die kantigen Knochen durch neues Fleisch schnell abgerundet wurden, ließen die nächtlichen Erzählungen nach. Ich war verantwortlich für den Leib einer Frau, die recht liebenswürdig war, keine Fragen stellte, etwas unnahbar wirkte, die aß und schlief und langsame Spaziergänge unternahm. Ramirez wurde entlohnt, ohne daß er Anregungen für die Zukunft gegeben hätte. Sie telefonierte mit ihrer Schwägerin und versicherte, alles sei bestens in Ordnung. Mit mir sprach sie nur über die glücklichen Abschnitte ihrer Kindheit. Aber sie mochte das Haus nicht und wollte es nicht behalten, auch das Auto nicht. Ich regelte ihre finanziellen Angelegenheiten, und sie unterschrieb den Auszahlungsschein sowie all die kleinen Schecks für die Ängstlichen. Sie wollte irgendwo anders leben, aber sie kümmerte sich nicht darum, wo, und wollte auch nicht die Mühe auf sich nehmen, irgend etwas zu planen. Wir packten. Viel wollte sie nicht behalten. Miss Agnes, halb Lieferwagen, bot ausreichend Platz dafür. Ich brachte Bocka die Schlüssel, zusammen mit der Adresse, unter der sie zu erreichen war. Sie unterschrieb den Vertrag, und ich verkaufte ihr Auto, dann zahlte ich das Bargeld auf ihr Konto ein. Sie unterschrieb den Nachsendeantrag für die Post. Ich kümmerte mich um Wasser, Strom, Telefon. Ich warf einen letzten Blick durch das Haus. Sie saß draußen im Wagen. Ich sah nach, ob alle Fenster geschlossen waren, schaltete die Klimaanlage aus und knallte die Haustüre zu.
    Sie schaute nicht zurück, als wir wegfuhren. Sie saß da, träumte lächelnd vor sich hin, die Hände im Schoß gefaltet.
    Andere Leute fahren nach Süden in die Florida Keys und bringen Aschenbecher aus Muscheln oder Flamingos aus Ton mit nach Hause. Travis McGee bringt eine Lois Atkinson mit. Die Jagd nach Souvenirs ist die Hauptsäule des Fremdenverkehrsgeschäfts.
    »Sie können auf meinem Hausboot bleiben, bis Sie etwas gefunden haben.«
    »In Ordnung.«
    »Vielleicht wollen Sie wieder zurück nach New Haven, um in der Nähe Ihres Bruders zu sein.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Es geht Ihnen sicher bald gut genug, um reisen zu können.«
    »Das nehme ich auch an.«
    »Wäre es Ihnen lieber, wenn ich direkt nach einem eigenen Haus für Sie suche?«
    »Das ist mir egal.«
    »Was würden Sie denn lieber tun?«
    Die Anstrengung, eine Entscheidung treffen zu müssen, riß sie aus ihrer Lähmung. Sie ballte die Fäuste und preßte ihre Lippen aufeinander. »Ich schätze, ich muß bei Ihnen bleiben.«
    »Für eine Weile.«
    »Ich muß bei Ihnen bleiben.«
    Der Patient wird gefühlsmäßig von seinem Analytiker abhängig. Sie sagte das ohne Bedenken. Sie stellte diese Tatsache fest, eigenartigerweise zuversichtlich, daß ich diese Tatsache ebenso anstandslos akzeptieren würde wie sie. Nach einer Weile sackte sie gegen die Tür und schlief ein. Ich war entrüstet. Woher war sie so verdammt sicher, daß sie sich nicht in die Hände einer anderen Spielart von Junior Allen begeben hatte? Woher rührte dieses ganze, erdrückende Vertrauen? Hier neben mir saß eine Frau reifen Alters, die nicht zu wissen schien, daß die Welt voller Ungeheuer steckt, obwohl sie gerade ein lebendes Beispiel kennengelernt hatte. Ich hatte das Gefühl, sie würde dasselbe Mona-Lisa-Lächeln völliger Hinnahme aufsetzen, wenn ich ihr erzählen würde, daß ich sie auf die Inseln der Kannibalen bringen und sie als Suppenfleisch verkaufen wollte.
    Ganz so vertrauenswürdig bin ich nun auch wieder nicht.

    Unter Deck war die Busted Flush heiß, stickig und unangenehm feucht. Ein Stromausfall hatte die Klimaanlage ausgeschaltet. Als ich ging, hatte ich den Thermostat auf siebenundzwanzig gestellt, bei geringsten Stromkosten gerade genug, um zu vermeiden, daß es so heiß wurde wie jetzt. Ich stellte ihn auf neunzehn. Es würde eine Stunde dauern, bevor es gemütlich wurde. Ich führte