Abschied in Dunkelblau
Fernvermittlungsstelle ließ die Leitung offen, und ich hörte, wie eine Frau den Anruf bei William M. entgegennahm. Sie hatte eine helle, brüchige Stimme und antwortete sehr förmlich: »Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Mr. Callowell vergangenen März dahingeschieden ist.«
Ich bat darum, direkt mit ihr zu sprechen. »Mrs. Callowell, das mit Ihrem Gatten tut mir leid, aber ich bin mir nicht sicher, ob er der Mr. Callowell war, den ich ausfindig machen wollte. War er Pilot im Zweiten Weltkrieg?«
»Meine Güte, nein! Sie meinen bestimmt meinen Sohn. Mein Mann war dreiundachtzig Jahre alt.«
»Kann ich Ihren Sohn bei Ihnen erreichen, Mrs. Callowell?«
»Ach, wenn sie gestern angerufen hätten, hätten Sie mit ihm reden können. Er war zu Besuch, und es war wunderschön.«
»Wo kann ich ihn erreichen?«
»Die Vermittlung sagt, Sie rufen aus Florida an. Ist es schrecklich dringend?«
»Ich würde ihn gerne erreichen.«
»Nur einen Augenblick. Ich habe es hier aufgeschrieben. Sein Wohnsitz ist natürlich in Richmond, Virginia. Lassen Sie mich nachsehen. Heute ist der ... dritte, nicht wahr? Da wird er bei einem Kongreß in New York City sein bis Dienstag, den neunten. Im Hotel Americana. Ich nehme an, daß Sie ihn dort erreichen können, aber er sagte, er hätte eine Menge Besprechungen, und er wäre sehr beschäftigt.«
»Ich danke Ihnen vielmals, Mrs. Callowell. Übrigens, wo war Ihr Sohn denn in Übersee stationiert?«
»In Indien. Er wollte immer einmal dorthin zurück und das Land wieder einmal besuchen. Er hatte so schöne Briefe von dort geschrieben. Ich habe sie alle aufbewahrt. Vielleicht findet er ja eines Tages einmal Gelegenheit dazu.«
Ich legte auf und trank meine halbleere Tasse lauwarmen Kaffee aus. Ich rief bei einer Fluggesellschaft an. Sie hatten einen passenden Flug. Ankunft Idlewild um 14 Uhr 50. Lois schien sehr beunruhigt bei dem Gedanken, allein gelassen zu werden. Sie sah aus, als würde sie gleich mit den Zähnen klappern. Ihre Augen waren riesengroß. Während ich packte, erklärte ich ihr, wie alles funktionierte, und bestand darauf, daß sie sich das aufschrieb. Post, Wäsche, Telefon, Lebensmittel, wie man die Klimaanlage von Hand wieder einschalten konnte, Müllabfuhr, wer ein zuverlässiger Arzt am Ort war, wie man abschloß usw., Fernsehkanäle, Bücherregale, Feuerlöscher sowie einige kleine Merkposten alltäglicher Routinearbeiten an Bord. Sie biß sich auf die blasse Lippe und kritzelte alles nieder. Sie brauchte weder ein Auto noch ein Fahrrad. Alles, auch der öffentliche Strand, war zu Fuß erreichbar. Nehmen Sie alle vier Stunden die weißen Tabletten. Nehmen Sie eine rosarote, falls Sie einen Nervenzusammenbruch bekommen.
Auf der Gangway küßte ich sie wie jeder andere Ehemann, der mit der Bahn zur Arbeit pendelt, befahl ihr, auf sich aufzupassen, ging schnell zu Miss Agnes und klopfte meine Gesäßtasche ab, wo das Geld und die Kreditkarten drin waren. Arbeitslose sind nicht kreditwürdig genug für Kreditkarten. Aber ich hatte einen Bürgen, ein Mann, dem ich einmal einen kniffligen und gefährlichen Gefallen getan hatte, ein Mann, dessen Name Bankdirektoren die Hacken zusammenschlagen und den Atem anhalten läßt. Die Karten sind praktisch, aber ich benutze sie höchst ungern. Ich komme mir dabei immer vor, als würde sich Thoreau mit einer Leica und einem Vogelbuch bewaffnen. Sie sind wie kleine Finger der Wirklichkeit, die einem nach dem Hals greifen. Ein Mann mit einer Kreditkarte hat sich an das Bild verkauft, das er sich von sich selbst macht.
Aber diese Jahre sind die letzten, in denen man noch die freie Wahl hat. In den Kreißsälen der Zukunft aus rostfreiem Edelstahl werden sich die Finanzbeamten einen Weg durch die rosaroten Schreihälse bahnen und ihnen eine Kombination aus Kreditkarten- und Steuernummer auf das eine Handgelenk tätowieren, dicht gefolgt von einer Mannschaft der Telefongesellschaft, die eine für alle Zeiten gültige Telefonnummer, zweifellos für ein Videotelefon, auf das andere Handgelenk stempeln. Wenn man stirbt, geht die Nummer zurück an die Bank. Das wird die erste nachweisbare Form von Unsterblichkeit sein, die die Welt je gekannt hat.
Manhattan im August ist wie eine Wiederholung der Großen Pest von London. Der zusammengeschrumpfte Menschenstrang der Befallenen schleppt sich durch die brennend heißen Straßen mit hängender Zunge, bereit, jeden Augenblick tot umzufallen. Jene, die noch bei Gesundheit sind,
Weitere Kostenlose Bücher