Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
erwarten auf einer Bühne zu stehen, ich, vielleicht ein Glas Rotwein in Griffweite, und natürlich mein Buch, und dann das Lachen an den lustigen Stellen, das Entsetzen, wenn der Horror einsetzt, und dann zum Abschluss der Beifall...
Einen geeigneten Ort hatte ich noch am gleichen Tag gefunden, denn die Kneipe, in der ich arbeitete, besaß eine kleine Bühne, vor der gut und gerne fünfzig Zuhörer Platz haben würden. Der Besitzer war auch gleich bereit, allein schon aus Neugierde, was ich denn da (»der Philosoph«) geschrieben hatte, am kommenden Sonntag eine Stunde auf zwei früher als sonst zu öffnen und mir die Kneipe zur Verfügung zu stellen (mitsamt einer Bedienung, die er bezahlen würde, »Schließlich will ich in Ruhe zuhören und nicht noch hinterm Tresen stehen«). Na, vielleicht hoffte er auch nur, dass Lili zur Lesung kommen würde, so dass es ihm weniger um das Zuhören als um das Schauen ging. Das aber sollte mir recht sein, wenn nur genügend Menschen zum Zuhören kämen. Allerdings glaubte ich nicht, Lili nach ihrem Abschied letztens noch mal wiederzusehen, so dass ihm wohl nichts anderes übrig bleiben würde, als mir seine Aufmerksamkeit zu schenken. Sein Schaden sollte dies aber nicht sein, denn die Zuhörer würden schließlich etwas trinken (und nachmittags bestimmt Kaffee oder Tee, da war die Gewinnspanne eh am größten), so dass er nach Abzug der Bedienung einen Gewinn würde verbuchen können.
So nahm die Idee Gestalt an, ich war dermaßen davon angetan, dass selbst meine Anrufe bei der Unscheinbaren seltener wurden. Ich war wahrlich guter Dinge. Ich hatte ein Ziel. Schließlich hatte ich für die Werbung zu sorgen – und zwar schnell. Entwarf kleinere Plakate, Handzettel, die ich in den Wuppertaler Kneipen, in der Uni an Wänden und auf Tischen verteilte, ja, ich ließ sogar Handzettel in der Schwebebahn und in den Bussen auf den Sitzen liegen. Man weiß ja nie. Des Weiteren schaltete ich einen Hinweis bei den Veranstaltungstipps von Radio Wuppertal, ebenso wie in der WZ. Gleichzeitig schrieb ich der Kulturredaktion von Wuppertals Tageszeitung noch einen netten Brief, in dem ich auf meine Lesung hinwies und anfragte, ob nicht Interesse an einem kleinen Artikel über einen Wuppertaler Literaten bestünde. Verfasste ähnlich gelagerte Briefe an die wenigen Wuppertaler Verlage, die sich auch für Belletristik interessierten. Natürlich schrieb ich auch alle meine Bekannten an, von denen ich wusste oder dachte, dass sie würden kommen können, teilte ihnen mit, dass ich einen Roman geschrieben hätte, dessen Fertigstellung ich nun mit einer Lesung feiern wolle. Ja, ich lud sogar die Wurst- und die Käseverkäuferin ein, man weiß ja nie. Konnte ja nicht schaden, wenn der Laden voll wurde. Außerdem hatte ich vorsichtshalber einige Kopien meines Manuskriptes anfertigen lassen. Wenn man die Leser schon neugierig macht, muss man auch darauf vorbereitet sein, dass sie nach mehr verlangen.
Ja und dann kam er, der Tag der Wahrheit, wie es so schön heißt. Heute ist dieser Tag. Ich bin sehr früh aufgewacht, mich hielt es vor Aufregung nicht in der Wohnung. Es ist ein herrlicher Sonntagsommermorgen, der Regen der letzten Zeit ist einem blauen Himmel gewichen. Während ich diese Zeilen hier verfasse, sitze ich auf der Treppe vor der Haustür, neben mir die Seiten meines Romans, die ich heute Nachmittag lesen werde. Ich zünde mir lächelnd eine Zigarette an. Endlich scheinen die Dinge wieder in ihrem richtigen Verhältnis zueinander zustehen, ich spüre den Bogen der Harmonie zwischen mir und dem lichtdurchfluteten Himmel und erwarte lächelnd die Stunde der Wahrheit.
Zwischenbemerkung
Das Haus, das, wie ich vermutete, K. bewohnte, lag etwas außerhalb der Ortschaft an einer der schmalen Straßen, die gesäumt von Ackerflächen in den Nachbarort führen. Bereits während ich noch auf der Straße fuhr, hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Er erwartete mich. Somit wunderte es mich nicht, die Haustür offen zu sehen, als ich in die mit Kies gestreute Einfahrt einbog.
Ich stellte mein Fahrrad neben der Garage ab. Für einen Atemzug lang sah ich den 12jährigen Jungen an dieser Stelle vor mir stehen, dann ging ich, die zusammengerollten Aufzeichnungen von K. aus meiner Gesäßtasche ziehend, mit klopfendem Herzen zum Haus. Ich glaubte zwar nicht, dass er vorhatte, mir, nach der ganzen Mühe, die er sich gegeben hatte, um mich hierher zu locken, etwas anzutun (sonst wäre ich
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