Abschied ist ein scharfes Schwert. Ein Mordsroman (German Edition)
an meiner aktuellen Veröffentlichung, somit hatten sich flankierend zu dem kurzen Interview, welches er aus dem langen Gespräch destilliert hatte, mehrere Hochglanzbilder in dem Magazin, für das er schrieb, gefunden. Die Bar, die Sofaecke, der Billardtisch mit dem Bett im Hintergrund – und, als Zugeständnis an den Grund dieses Interviews, mein Schreibtisch (das einzige Möbelstück in der Wohnung, welches wirklich von mir war). Und hier fand ich mich also in dem Ebenbild dieser Wohnung wieder. Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Sogar das großformatige Poster von der Frau mit den grünen Augen hing an der Wand über dem Sofa, jenes Poster, das ich in einem Buchladen in Wuppertal entdeckt und in der Wohnung meines Freundes aufgehangen hatte und welches ich immer vor Augen hatte, wenn ich von Helen, einer der Hauptfiguren meines ersten Romans, schrieb.
»Gefällt es ihnen?«, fragte K. mich. Ich blieb ihm die Antwort schuldig. Mein Gegner, wenn es denn einer war, hatte plötzlich an Gefährlichkeit gewonnen. Das hier unten war ein verdammter Schrein.
»Das mit dem Poster war am schwierigsten zu bewerkstelligen. Aber jetzt gibt es ja bei Google diese Suche nach ähnlichen Bildern, und da habe ich den alten Artikel aus dem Magazin einfach eingescannt, den Bereich des Posters ausgeschnitten, vergrößert, hochgeladen – und so habe ich doch tatsächlich einen Anbieter gefunden, der das Poster noch vertreibt.«
Er humpelte hinter die Bar und schenkte uns beiden einen Southern Comfort ohne Eis ein (den ich gar nicht mochte, aber der Reporter meinte damals, das sähe gut auf dem Photo aus, ich mit der Flasche in der Hand, und was tut man nicht alles als junger Autor...). Ich sah mich währenddessen weiter im Keller um.
Er hatte den Schreibtisch, der meinem von damals zum Verwechseln ähnlich sah, neben einem gewaltigen Brennofen aufgestellt, vor welchem Holzscheite lagen. Auf dem Schreibtisch stand neben modernem Arbeitsgerät, einem MacBook, einem Scanner und einem Laserdrucker, eine alte Olympus-Schreibmaschine. Natürlich das Modell, welches damals auf meinem Schreibtisch gestanden hatte, und sicherlich hatte er auf dieser Schreibmaschine, obwohl es so viel mühsamer gewesen war, als seinen Mac zu benutzen, seine Aufzeichnungen geschrieben.
Die ganze Situation wurde immer unheimlicher. Auf dem Schreibtisch standen neben Romanen wie Thomas Harris' »Schweigen der Lämmer«, Literatur wie John Douglas' »Die Seele des Mörders« und philosophischen Büchern (u.a. Nietzsches Gesammelte Werke) alle meine bisherigen in Buchform oder in Literaturzeitschriften veröffentlichten Werke, und das in mehrfacher Ausfertigung. Die Wand hinter dem Schreibtisch war übersät mit Bildern aus meiner Schriftsteller-Karriere. Ausgeschnittene Zeitungsausschnitte von Interviews. Ausdrucke von Rezensionen meiner Werke aus dem Internet. Screenshots von meiner Homepage. Daneben Zeitungsausschnitte, die ich nicht kannte. Ich ging näher heran. Schrecklicher Unfall! Ein grob pixeliges Photo eines völlig zerstörten Autos. Julia und ihre Eltern. Dann: Tod im Weizenfeld. Tragödie im Sonnenschein. Ein Mädchen, das Selbstmord begangen hatte. Ein großer Bericht über einen ungeklärten Mord in Wuppertal. Leiche in der Müllverbrennungsanlage entdeckt. Mir wurde schlecht, als ich das las – und K. plötzlich neben mir stand und mir das Glas reichte. Ich trank das Glas in einem Zug leer, um den üblen Geschmack in meinem Mund zu vertreiben. Dann sah ich, dass neben den Holzscheiten ein Paar Schuhe lagen, Frauenschuhe, die größtenteils verbrannt waren – und hatte nur noch einen Wunsch: Raus hier!
Ich ging nicht. Das war kein Heldenmut. Das war einfach das Paradoxon, dass sich mein Verstand weigerte, obwohl ich mir im Laufe der Jahre so viele schreckliche, grausame Charaktere hatte einfallen lassen, die meine Geschichten bevölkern, der sehr realen Möglichkeit ins Auge zu sehen, dass ich einen solchen Charakter jetzt vielleicht vor mir habe. Nein, sagte ich mir, ich bilde mir das nur ein. Die Drohungen. Die Übereinstimmungen der realen Welt mit den Aufzeichnungen.
»Warum dies alles hier?«, fragte ich ihn tonlos, während ich mich umsah und dabei mit den zusammengerollten Blättern in meiner Hand in die Runde zeigte, »Was wollen sie von mir?«
»Was das alles soll...«, setzte er an, humpelte hinter die Bar und goss mir noch einen Scotch nach. »Wissen sie, ohne ihren Sammler wäre aus mir nie der Mann geworden, den sie
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