Abschied nehmen
Als er den Raum betreten hatte, hatten ihn sowohl Marcus und Robert als auch Billy mit einem trüben Blick angesehen, doch er hatte es nicht wahr haben wollen. Er hatte sich eingebildet, dass wenn er diese Blicke ignorieren würde, sie einfach verschwinden würden, doch nun musste er schmerzhaft feststellen, dass sie noch immer da waren.
„Billy, ist meine Familie wohl auf?“, fragte er sein Blick und seine Stimme ein einziges Flehen, und als dieser nicht antwortete, sondern lediglich traurig zu Boden sah, ließ er von ihm ab und ging hinüber zu Marcus. Er sagte nichts, sondern sah seinen Freund, der hinter dem massiven Schreibtisch saß, nur eindringlich an.
„William, es geht um deinen Vater“, begann Marcus, der wortlosen Aufforderung nachkommend und das Rauschen in Williams Ohren wurde lauter. „Es gibt leider keine guten Nachrichten, er ist verstorben“, erklärte er ohne Umschweife mit einer sanften kaum hörbaren Stimme und schluckte schwer. „Nachdem du fort warst, hatte ihn ein schweres Fieber befallen, das er nicht überstanden hatte“, fügte er noch hinzu, und während ihm sein Mitgefühl deutlich ins Gesicht geschrieben stand, zeigte William zunächst keinerlei Reaktion.
Er starrte Marcus lediglich nach wie vor an, während seine Gedanken wie wild durch seinen Kopf kreisten. Er war einfach unfähig sie zu kontrollieren oder ihren Sinn zu begreifen und die gesagten Worte drangen nur langsam zu ihm durch. Doch schließlich in seinem Kern angekommen, schienen sie sich nun mit einer unglaublichen Geschwindigkeit in seinem Körper auszubreiten. Sein Herz raste und jeder einzige Schlag des Muskels, schien die Trauer in ihm zu vervielfachen, bis er sie irgendwann nicht mehr in sich halten konnte.
Seine Hände, die bis eben noch vollkommen ruhig auf der Stuhllehne gelegen hatten, krallten sich nun in dieser fest. Er senkte seinen Kopf und gab einen Laut von sich, der dem eines gequälten Tieres glich. Er rüttelte an dem massiven Möbelstück und ließ seinen Zorn und sein unendliches Leid an ihm aus.
Marcus sah seinen Freund mit ohnmächtiger Anteilnahme an. War es richtig gewesen, es ihm gesagt zu haben, fragte er sich. Die ganze Zeit hatte er, seitdem Billy vor ein paar Stunden angekommen war, hin und her überlegt, ob er es William mitteilen sollte. Er hatte schließlich auch Robert zur Rate gezogen, auch wenn er von vornherein gewusst hatte, dass dieser ihm auch nichts anderes sagen würde, als das, was er bereits wusste. Sie konnten es ihm einfach nicht ersparen und nun mussten sie hilflos Williams Qualen mit ansehen.
Robert hielt es nicht länger aus und wandte sich an William, in der Absicht ihm Trost zu spenden.
„William …“, begann er, doch als sein Freund die Augen schloss und sein Gesicht abwandte, brach er den Versuch ab. Er hätte ohnehin nicht gewusst, was er bis auf ein „Es tut mir leid“ hätte sagen sollen, und so schwieg er wieder und blickte betroffen zu William, der schwer atmend noch immer in der gleichen Haltung verweilte.
In dessen Kopf drehte es sich derweil, und als er die Augen wieder öffnete, fühlte er sich plötzlich von den Wänden um ihn herum so eingeengt, dass er meinte, auf der Stelle ersticken zu müssen, wenn er den Raum nicht verlassen würde. In seiner Wut nahm er den Stuhl, schleuderte diesen gegen die Wand und stürmte wortlos hinaus.
Robert und Marcus tauschten einen besorgten Blick und ohne zu zögern, eilten sie hinter ihm her. Sie konnten ihn nun nicht allein lassen.
Auf seinem Weg hinunter begegnete er Kate. Im Vorbeigehen sprach sie ihn an, doch er verstand sie nicht. Ihre Worte waren wie ein weit entferntes Echo und er rannte weiter zum Stall, ohne ihr die geringste Beachtung zu schenken. Im Stall angekommen, schwang er sich auf Jimmys Rücken, und als Marcus und Robert diesen betraten, galoppierte er bereits an ihnen vorüber. Sie sprangen auf ihre Pferde und folgten ihm, wobei Kate den Männern mit gerunzelter Stirn nachsah.
Ein gewaltiger Donner erscholl, als William das Burgtor passierte. Der kräftige und ungestüme Wind blies ihm ins Gesicht und der Regen peitschte auf sein Antlitz nieder. Er ritt und ritt immer weiter, so als könnte er dem Kummer und dieser unglaublichen Wut einfach entfliehen, doch es funktionierte nicht. Diese Gefühle klebten an ihm wie eine lästige Fliege, die sich nicht abschütteln
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