Abschied nehmen
Nackenhaare stellten sich auf, ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihm aus und augenblicklich fuhr sein Blick in die Menge zu seinen Füßen. Seine Augen schweiften hin und her auf der Suche nach den vertrauten Gesichtern, doch alles, was er fand, waren Hass und Abscheu. Himmel, wo seid ihr denn, dachte er panisch, sein Blick zunehmend hektischer, die Hände zu Fäusten geballt, damit man sein Zittern nicht sah. Ohne sie würde er das nicht überstehen, dachte er entsetzt! Er brauchte doch ihre Hilfe, schrie er innerlich, doch sein Schrei wurde von einem anderen übertönt.
„William, hier!“, ertönte Marcus’ kräftige, tiefe Stimme und William sank förmlich vor Erleichterung in sich zusammen. Gott sei Dank, da waren sie, dachte er und lächelte dankbar auf seinen Freund hinunter. Doch schon im nächsten Augenblick wurde seine Aufmerksamkeit auf die Bühne gelenkt, denn der Major betrat sie.
Er kam begleitet von zweien seiner Männer - William kannte sie, sie waren seinerzeit bei dem Überfall mit dabei gewesen - und nur wenige Schritte vor ihm blieben sie stehen. Eine Mischung aus Genugtuung, Hohn und Freude war in den drei Gesichtern zu lesen, doch William ließ sich davon nicht einschüchtern. Er richtete seinen eisigen Blick auf Wentworth, und als der merkte, dass seine Anwesenheit William nicht aus der Fassung zu bringen vermochte, wandte er sich dem Schriftstück in seiner Hand zu.
Mit einer wortlosen Geste brachte er die Menge zum Verstummen und mit einem leisen Lächeln um die Lippen begann er, das Urteil vorzulesen. Zunächst rezitierte er all die Straftaten, derer William sich angeblich schuldig gemacht hatte, bei denen von Diebstahl über Vergewaltigung bis Mord alles vertreten war. Dann kam er zu der Strafe, die William dafür auferlegt worden war und sein Grinsen wurde breiter. Darauf hatte er beinahe ein Jahr lang gewartet und er genoss es in vollen Zügen.
„Wollt Ihr gestehen und Euch die Qualen der Peitschenhiebe ersparen, indem Ihr gleich aufgeknöpft werdet?“, fragte er letztendlich der Form halber und jedes seiner Worte triefte nur so vor Ironie. Er wusste dieses Vergnügen würde ihm nicht genommen werden und auch wenn es William aufs Äußerste widerstrebte, den Major zufriedenzustellen, blieb ihm leider keine Wahl.
Er hätte auch gestehen und um Gnade winseln können, doch das hätte Wentworth noch mehr Genugtuung verschafft. Außerdem hätte er sich so obendrein diesem Bastard geschlagen gegeben und eh er das tun würde, würde er lieber durch die Hölle gehen. So blickte er den Major lediglich bewegungslos an und der akzeptierte prompt seine stumme Antwort.
„Macht ihn bereit!“, wies er die Henker an und bei den Worten gefror William augenblicklich das Blut in den Adern.
Nun ist es so weit, es gibt keinen Ausweg mehr, dachte er, sein ganzer Körper spannte sich an, und während er schwer gegen die aufsteigende Übelkeit anatmete, raste sein Herz wie verrückt. Oh Gott, bitte hilf mir stark zu bleiben, flehte er zum Himmel, die bebenden Lippen fest aufeinander gepresst. Bitte gib mir die Kraft, durchzuhalten, was mir bevorsteht, bat er. Dann schweifte sein Blick zurück in die Menge, und erst als er, nach einer Ewigkeit wie ihm schien, wieder Kates schönen, dunklen Augen begegnete, atmete er wieder leichter.
Sie hatte sich beruhigt, das war gut, dachte er, während seine Fesseln gelöst wurden und ihm das Hemd über den Kopf gezogen wurde. Ihre Tränen waren nicht versiegt, aber sie war auch nicht mehr derart außer sich wie vorhin.
Die Fesseln wurden wieder angelegt.
Es war nicht einfach für ihn, ihre Not mit anzusehen, ohne etwas dagegen tun zu können, es zerriss ihn selbst innerlich, doch heute und für die Zukunft musste er diese Aufgabe wohl an seine Freunde abtreten. Sie waren nun bei ihr und er wusste, dass sie ihr an seiner statt helfen würden. Darauf konnte er sich verlassen, dachte er und lächelte sanft, während er zu dem Holzbalken geführt wurde. Seine Hände wurden hochgerissen, die Fesseln um den Haken gelegt. Er stand in Position und konnte sie alle noch immer sehen. Das war gut, das würde ...
Seine Gedanken wurden plötzlich von herannahenden Schritten in seinem Rücken unterbrochen. Er hörte das Zischen der Peitsche und runzelte verwundert die Stirn. Der Henker und sein Gehilfe standen doch noch immer in seinem Sichtfeld und keiner von ihnen
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