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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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betrachtet hatte, in dem ihr Vater jetzt wohnte, ein nichtssagendes Backsteinhaus, das mit seinen abblätternden Fensterrahmen und der äußeren Tür aus Aluminium wie eine Tarnung wirkte, der Camaro das Einzige, was ihm wirklich entsprach. Das hier war genauso: fremd und enttäuschend, als würde das Haus den Abstand zwischen ihnen bekräftigen. Am liebsten hätte sie nachgesehen, ob sein Rasenmäher in der Garage stand. Am liebsten hätte sie an die Tür geklopft.
      Rufus hatte eine Stelle gefunden und hockte sich hin.
      «Nein!», rief Sarah, aber es war schon zu spät. Er blickte über die Schulter, sah sie beim Pinkeln an, und Ella lachte unter ihrem Regenschirm.
      «Ich glaube nicht, dass er hier wohnt», sagte Sarah.
      «Das bleibt zu hoffen.»
      «Sieh zu, dass du fertig wirst», befahl sie Rufus, dann gingen sie weiter.
      «Vielleicht wohnt er ja nebenan», sagte Ella, denn da stand ein Mustang in der Einfahrt, aber auch diesmal entdeckte Sarah keinen echten Anhaltspunkt, bloß das übliche Zeug, das die Leute draußen stehen hatten: einen Blumentopf, einen Grill, zwei Klappstühle. Dasselbe Spielchen konnte sie bei allen Häusern in der Straße treiben, und doch würde keins davon zu ihm passen.
      «Vergiss es.»
      «Wir haben's versucht», sagte Ella. «Warte, bis es aufhört zu regnen, dann fährt er wieder auf seinem Ding rum.»
      Sie hatte Recht, aber der Tag war verdorben. Jetzt dachte Sarah an Mark und fragte sich, was er im Ferienlager wohl machte und warum er nicht geschrieben hatte.
      Sie waren fast an dem Pfad zu den Tennisplätzen angelangt, als ein Lieferwagen vom Highway auf die Straße bog, dessen Scheinwerferlicht über sie hinwegstrich und von den Pfützen zurückgeworfen wurde. Der Lieferwagen war hässlich und aufgemacht wie ein frisiertes Auto, mit verchromten Rädern. Er rollte langsam näher, wie die Typen aus Dearborn, die mit offenem Fenster die Superior Avenue entlanggondelten und ihr und Liz vom Rücksitz aus hinterherpfiffen. In dem Lieferwagen saßen zwei Männer, wahrscheinlich unterwegs zum Jachthafen, nur dass sie keinen Anhänger hatten. Der Fahrer hatte einen Bart und eine Brille. Die beiden starrten sie an, als würde sie nicht hergehören, und ließen ihren Blick über sie gleiten.
      Bevor Sarah wusste, was sie tat, stellten sich ihre Reflexe ein (eigentlich die ihrer Mutter), und sie hob die Hand, in der sie Rufus' Leine hielt, auf Augenhöhe und zeigte ihnen den Mittelfinger.
      Die Rücklichter des Lieferwagens leuchteten auf.
      «Lauf!», schrie sie, rannte an Ella vorbei, und Rufus sprang neben ihr her, als wäre es ein Spiel. «Los!» Auf der Straße taten ihr die Fersen weh, und als sie abbog, wäre sie fast im Gras ausgerutscht. Sie versuchte, in den Wald zu entkommen, lief zwischen den Büschen hindurch, der matschige Pfad gab unter ihren Füßen nach, Äste zuckten vorbei und grapschten nach ihrem Regenschirm, bis sie ihn fallen ließ. Sie stieß gegen eine harte Wurzel und sprang ein paar Schritte, bevor sie wieder lief und der anfangs verwirrte Rufus sie weiterzerrte. Sie konnte nichts hören, als liefe sie schneller als der Schall. Hinter der nächsten Wegbiegung lagen die Tennisplätze.
      «Sarah!», rief Ella.
      Als Sarah langsamer lief und sich umblickte, sah sie Ella weit hinter sich, der Regenschirm zugeklappt, damit sie ihn als Waffe benutzen konnte, und plötzlich fand sie es falsch, dass sie sie zurückgelassen hatte.
      «Warte», rief Ella atemlos, und Sarah blieb stehen, damit sie sie einholen konnte. Sie würden sich ihnen gemeinsam stellen.
      Ella keuchte wie Liz bei einem ihrer Asthmaanfälle und musste sich vorbeugen. «Sie verfolgen uns nicht.»
      «Vielleicht kommen sie von der anderen Seite.»
      «Das glaub ich nicht.»
      Trotzdem behielt sie den Pfad im Auge.
      «Arschlöcher.» Es war das Wort, das ihre Mutter für ihren Vater oder andere Autofahrer reserviert hatte.
      «Was war denn los?»
      «Hast du's nicht gesehen?»
      Die Geschichte bot ihnen einen Grund, stehen zu bleiben und sich auszuruhen.
      «Die Idioten haben's verdient», sagte Ella. «Mir fallen eine Menge Leute ein, denen ich gern den Finger zeigen würde.»
      «Wem zum Beispiel?», fragte Sarah, und sie glichen kurz ihre Listen ab. Leute in der Schule, auch ein paar Lehrer. Rufus wurde es langweilig, er legte sich hin. Unter den Bäumen merkte man kaum, dass es regnete. Ringsum zitterten und bebten die

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