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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Blätter, und Sarah hatte das Gefühl, dass jemand sie aus dem Gebüsch beobachtete. Sie erinnerte sich an das Mädchen von der Tankstelle, wegen dem Onkel Ken mit der Polizei gesprochen hatte, und sah vor sich, wie der Fahrer sie hinten in den Lieferwagen stieß.
      «Meinst du nicht, die beiden könnten die Entführer dieser Frau sein?»
      Sie sah, dass der Gedanke Ella gefiel. «Keine Ahnung.»
      Plötzlich sahen beide den Wald mit anderen Augen - echt Blair Witch -mäßig, wie Liz sagen würde. Sie durften nicht länger bleiben.
      «Ich sollte meinen Schirm holen.»
      «Ich weiß, wo er liegt», sagte Ella. «Ich hab gedacht, ich hätte nicht genug Zeit, ihn aufzuheben.»
      «Tut mir Leid.»
      «Nein, das war schlau. Falls sie uns wirklich verfolgt hätten.»
      Sarah zeigte ihr den Mittelfinger, und Ella lachte. Es klang laut.
      «Dann sollten wir ihn jetzt holen, oder?»
      «Stimmt», sagte Ella.
      Zuerst rührte sich Rufus nicht vom Fleck. Sie zogen ihn hoch - er war steif, streckte die Hinterbeine - und machten sich dann vorsichtig auf die Suche nach dem Regenschirm, horchten auf jeden Laut, der nicht hergehörte. Rufus hatte keinen Schimmer, worum es ging, und trottete nutzlos umher, als gingen sie im Park spazieren. Sarah ging voran, weil sie besser sehen konnte, und Ella blickte sich an jeder Wegbiegung um. Sie blieben den ganzen Weg dicht beisammen, ein Team.
     
     
* 6
     
    Diesmal war Ken vorsichtig auf den Steinplatten, die jetzt regenglänzend und glatt wie Glas waren. Als sein Spiegelbild im schwarzen Fenster der Tür auftauchte, kam ihm der verrückte Gedanke, dass er die Platten ausgraben und zu Hause hinten im Garten - neben der Garage - verlegen könnte, dann könnte er immer drübergehen. Es war der Wunsch eines Kindes, so ausgefallen und ehrlich, dass er lächeln musste, als er ihn aufgab. Er sah vor sich, wie er es gegenüber Lise zu rechtfertigen versuchte, wie sie über seine Weichherzigkeit grinste. Und doch hatte der Gedanke etwas Reizvolles, denn als er im Haus war, die Tür hinter sich geschlossen, der Regen aufs Dach trommelnd, stellte er sich vor, wie er die Platten herausstemmte, den Schlamm abspritzte und sie wie Fliesen auf die mit Teppichboden ausgelegte Pritsche des Geländewagens legte.
      Dazu hatte er keine Zeit. Er hatte die Nikon und zwei Rollen Schwarzweißfilme. Er hatte Lise erzählt, er wolle die Sachen seines Vaters wegen der Liste durchsehen, doch sie wusste, dass es ein Vorwand war.
      Seine Hauptsorge war, ob er genug sehen konnte. Durch die beiden Fenster, die auf den See hinausgingen, sickerte nur ein trübes Licht, und das eine Fenster war fleckig, von Efeuranken überzogen. In der stehenden Luft roch es nach Schimmel und Benzin - ein Geruch, der seit seiner Kindheit unverändert war, als hätte dieser Ort auf ihn gewartet. Er beugte sich über Ellas Fahrrad und betätigte den Schalter neben dem kleinen Kühlschrank, doch das Licht in der am Dachbalken angeschraubten Porzellanlampe brannte nicht, die dunkle Glühbirne vermutlich schon zehn Jahre alt und in der Fassung festgerostet. Auf der Werkbank entdeckte er eine Stableuchte und hängte sie an einen Nagel. Das Ergebnis war grell; selbst wenn man sie umdrehte, wirkte alles flach.
      Die Werkbank war ein einziges Durcheinander; einen Augenblick lang brachten ihn nicht nur die grellen Schatten, sondern auch das viele Gerümpel aus der Fassung - Werkzeuge, Benzinkanister und Verlängerungsschnüre, Sägen und Holzspäne, eine zusammengefaltete Luftmatratze, Kästen mit farblich sortierten Pfandflaschen. Er erkannte ein paar vertraute Sachen: eine vom Alter schwarz gewordene Rohrzange, die Backen silbrig, eine Chock füll o'Nuts-Dose mit ausgetrockneten Pinseln und Rührstäben, ein Pfirsichkorb, in dem Gewürzgläser voller Kleinkram aufgereiht waren, alle mit Klebeband etikettiert, in der Blockschrift seines Vaters als Allzweckschrauben, Maschinenschrauben und Klemmmuttern gekennzeichnet. Die meisten Sachen hatte Ken noch nie gesehen: ein einzelner makelloser Steinbohrer, in seiner Hülle eingeschweißt, eine ungeöffnete Tube Liquid Nails für eine Spritzpistole, eine Rolle Kupferdraht, eine unbenutzte Rolle Nylonseil fürs Boot. Es kam ihm falsch vor, alles auf einem Haufen, als wäre es dort hingekippt worden.
      Zu Hause war die Werkbank seines Vaters immer sauber gewesen, über der Kreissäge hatte ein röhrenartiger elastischer Schlauch gehangen, der das Sägemehl

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