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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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er, dass das nicht stimmte. Das waren bloß Regentagsgedanken. Das Wetter - die Welt -konnte einem das Gefühl geben, dass man innerlich ganz klein war, zusammengeringelt wie eine Schlange in einem Ei.
      Draußen auf dem See tuckerte ein Boot, ein Mann in einer Regenjacke stand unter dem Verdeck - SHERIFF stand auf dem Rumpf. Es war Dienstag. Tracy Ann Caler wurde seit zwei vollen Tagen vermisst. Bei einer Geschwindigkeit von hundert Stundenkilometern, und wenn sie sich beim Fahren abwechselten, konnten sie inzwischen in Kalifornien sein. Sie konnten überall sein.
      Er wandte sich wieder der Garage zu, und in dem flachen Licht sah alles noch erbärmlicher aus. Sie können sie an einem Ort wie diesem gefangen halten, dachte er, in so eine Plane gehüllt, unter die Schwimmwesten geschoben.
      Wahrscheinlich ging es ihr gut, wahrscheinlich zog sie das Ganze mit einem Freund durch, und sie waren mit ihren Ersparnissen unterwegs nach Westen. Das hoffte er wenigstens.
      Er schaltete das Licht aus und genoss die Dunkelheit, die alles weich zeichnete; das wie zufällig wirkende Licht vom Fenster fiel auf Rundungen und winklige Flächen, auf die halbmondförmigen Mäuler der Schraubenschlüssel. Ja. Hier war Ruhe und Schutz, die Stille, an die er dachte, wenn er sich seinen Vater vorstellte, der glücklich an seiner Säge stand und einen Hobel an der Kante eines frisch geschnittenen Bretts entlangführte, während sich Späne in einer weißen Woge über seiner Faust ringelten. Der Regen trommelte im Dachgebälk. Ken konnte den ganzen Tag hier bleiben, sich wie ein Kind verstecken. Wenn er es nur festhalten könnte, doch das überstieg seine technischen Fähigkeiten.
      «Ach, aber du hast es doch gespürt, oder?», würde Morgan sagen. Und damit hätte er Recht.
      Ken schaute auf seine Armbanduhr, als könnte er am nächsten Tag um diese Zeit dasselbe Licht haben. Er ließ alles liegen, wo es war, seine Liste unverändert. Er würde zurückkommen, bis er zufrieden war. Nach so nutzlosen Aufnahmen kam ihm das wie ein Triumph vor, wie ein Versprechen. Es ist seltsam, dachte er, wie wenig es braucht, um mich vom Aufgeben abzuhalten.
     
     
* 7
     
    «Hast du gefrühstückt?», fragte seine Mutter, als könnte er Ärger kriegen, und Sam redete sich einen Augenblick ein, dass er es schon getan hatte. Wenn er nein sagte, würde sie ihn seufzend in die Küche bringen, und dann müsste er sein Spiel unterbrechen.
      «Hm-hmm.»
      «Was hast du gegessen?»
      «Eier von Grandma.»
      Er ging gerade durchs hohe Gras, als der Bildschirm aufleuchtete und der wilde Kangama auftauchte, den er schon den ganzen Morgen gesucht hatte. Er hatte alle dreißig Safaribälle, mehr als genug, wenn Kangama nicht weglief.
      «Ich hoffe, du hast dich bei Grandma bedankt.»
      «Hm-hmm.»
      «Hast du dir die Zähne geputzt?»
      «Ja.»
      «Wollen wir mal riechen», sagte sie, winkte ihn mit dem Finger zu sich und beugte sich runter, sodass er mitten im Kampf aufhören musste.
      Sie hielt sein Kinn in der Hand. Neben ihm blickte Justin auf, als wäre das Ganze unheimlich.
      Sam bemühte sich, leicht zu atmen, und hoffte, die Zähne am letzten Abend so gut geputzt zu haben, dass sein Mund immer noch sauber war.
      «Nein, du hast dir die Zähne nicht geputzt. Warum lügst du mich an - warum? Es ist mir egal, ob du deine Zähne geputzt hast oder nicht, solange du mir die Wahrheit sagst. Verstehst du? Wie soll ich dir vertrauen, wenn du solche Märchen erzählst,
      hm?»
      «Ich weiß nicht.»
      «Du weißt nicht», wiederholte sie. Sie griff nach seinem Game Boy, und Sam musste sich zusammenreißen, um ihn nicht wegzuziehen wie neulich bei Ella. Sie nahm den Game Boy an sich und drehte ihn um, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Dann schaltete sie ihn aus, sodass alles verloren ging, was er seit dem letzten Speichern gewonnen hatte.
      «Hey!», sagte er, streckte die Hand aus und versuchte es zu erklären, aber sie hielt den Finger wie ein Messer vor sein Gesicht.
      «Das hört jetzt auf. Ich lasse nicht zu, dass du mich anlügst. Geh nach oben und putz dir die Zähne, und wenn du wieder runterkommst, reden wir mal mit deinem Vater. Er wollte heute mit dir und Justin zur Spielhalle fahren, aber das hast du dir wohl verscherzt, keine Ahnung.»
      Das war geschenkt. Sie wusste genauso gut wie er, dass sein Vater ihn in die Spielhalle gehen lassen würde. Justin schaute sie wieder an, aber

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