Abschied von Chautauqua
bestimmten Reihenfolge zu lesen, nicht auf die Verfasser zu achten, bevor sie anfing, erkannte aber die einzelnen Handschriften. Sie verspürte dieselbe beunruhigende Sorge, die sie vom Auspacken der Weihnachtsgeschenke oder aus dem Spielkasino kannte - das hinter der übersprudelnden Glückserwartung lauernde Gefühl, dass etwas furchtbar schief gehen könnte. Wie viel leichter wäre es gewesen, die richtigen Sachen für sie auszuwählen und sie dann tauschen zu lassen, doch sie hatte sich für den diplomatischen Weg entschieden, und jetzt gab es kein Zurück mehr.
«Ach du liebe Zeit», sagte sie, denn sie sah auf einen Blick, dass alle drei sich dasselbe ausgesucht hatten, die Zederntruhe. Bei Kenneth und Arlene stand sie an erster Stelle. Bei Margaret an zweiter, doch sie bat bloß um zwei Sachen, das andere war die Sammlung von Henrys Tankstellengläsern, die Emily selbst behalten wollte.
Die Entscheidung war einfach. Die Truhe war schon immer für Margaret bestimmt gewesen, damit sie sie an Sarah weitergab und das war alles, was Margaret bekam. So. Emily umkringelte die Truhe auf Margarets Liste und strich sie auf den beiden anderen durch.
Warum auch immer, Kenneth wollte den kleinen Kühlschrank in der Garage haben. Henrys Golfschläger - das freute sie Aus Respekt hatte Kenneth letzten Sommer nicht damit gespielt, und sie war froh, dass er sich jetzt traute, sie darum zu bitten. Sie würde sie vor der Abreise für ihn sauber machen. Und Henrys Angelzeug. Gut. Sie hatte damit gerechnet, dass er diese Sachen nehmen würde. Es ersparte ihr die Mühe, alles mit nach Hause zu schleifen. Ein paar von den Ködern und die ausgefallenen Angelrollen waren ziemlich viel Geld wert.
Als Letztes bat er um die 7UP-Flasche mit dem verbogenen Hals. Die hatte Henry für ihn auf einem Jahrmarkt gewonnen, beim Ringewerfen, er wollte sie unbedingt haben, wollte, dass Henry sie für ihn gewann. Henry hatte dreimal danebengeworfen und einen weiteren Dollar hervorgezogen. Sie hatte befürchtet, es würden Tränen fließen, und dann war der Plastikring hin und her gehüpft, klirrend gegen das Glas geprallt, bis er mit einem letzten Salto endgültig, perfekt auf dem Hals einer Flasche landete. Emily hatte Angst gehabt, die Kinder würden die Flasche schon am nächsten Tag kaputtmachen, so zerbrechlich hatte sie ausgesehen. Sie war erstaunt, dass sie so lange gehalten hatte, dass sie, so nutzlos sie auch sein mochte, ein geliebtes Relikt geworden war, sogar in ihren Augen. Obwohl sie - wie zur Tarnung - erst an fünfter Stelle stand, begriff Emily, die Kenneth genau kannte (seine Launen, die stillen Stunden, die er in seinem Zimmer verbracht hatte, während Margaret und ihre Freunde hinten im Garten herumtollten), dass ihm die Flasche mehr bedeutete als alles andere zusammen. Traurig dachte sie, er hätte wissen müssen, dass die Flasche ihm gehörte. Er hatte sich gegenüber dem ängstlichen Jungen, der er früher gewesen War, kaum verändert. Sie hatte ihn immer ermutigen müssen, seine Meinung zu sagen, sich nicht von lauteren Kindern einschüchtern zu lassen, doch auch dann hatte er zu viel Respekt gezeigt und Angst gehabt, andere zu kränken, sie selbst eingeschlossen. Trotz ihrer ständigen Ermahnungen hatte er diese Haltung nie überwunden, was ein schlechtes Licht auf sie zu werfen schien. Das hier bestätigte es bloß aufs Neue. Er hätte wissen müssen, dass er nicht darum zu bitten brauchte.
Bei Margaret war es genauso, dachte sie beschämt und umkringelte die Gläser auf ihrer Liste. Welche Mutter würde ihren Kindern auch nur das Geringste verweigern?
Arlene hatte den Fernseher aufgelistet, obwohl Emily ihn ihr bereits zugesichert hatte, aber auch einen alten Stich mit einer Karte vom See, der im Gästezimmer hing und den Emily völlig vergessen hatte - ein schöner Eichenblattrahmen aus den zwanziger Jahren, der dem Ganzen etwas Rustikales verlieh. Und die Wolldecke, für Emily ein scheußliches Ding in Schokolade und Karamell, das chemisch gereinigt (oder vielleicht auch verbrannt) werden musste. Das war alles, bloß vier Sachen. Emily war überrascht, dass die Kommode und der Nachttisch nicht aufgeführt waren. Zumindest die Leute von der Wohlfahrt würden sich freuen.
Niemand hatte den niedrigen Schrank von oben notiert oder den ovalen Spiegel mit dem welligen Glas und dem vergoldeten Adler, der so grimmig herabstarrte. Niemand wollte das gute Kaminbesteck oder das Tischchen haben,
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